Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Zungenspitze stand ein wenig zwischen den Zähnen hervor, er schien nicht zu atmen. So in Versenkung gehüllt, Om denkend, seine Seele als Pfeil nach dem Brahman ausgesandt.
    Einst waren Samanas durch Siddharthas Stadt gezogen, pilgernde Asketen, drei dürre, erloschene Männer, nicht alt, noch jung, mit staubigen und blutigen Schultern, nahezu nackt von der Sonne versengt, von Einsamkeit umgeben, fremd und feind der Welt, Fremdlinge und hagere Schakale im Reich der Menschen. Hinter ihnen her wehte heiss ein Duft von stiller Leidenschaft, von zerstörendem Dienst, von mitleidloser Entselbstung.
    Am Abend, nach der Stunde der Betrachtung, sprach Siddhartha zu Govinda: »Morgen in der Frühe, mein Freund, wird Siddhartha zu den Samanas gehen. Er wird ein Samana werden.«
    Govinda erbleichte, da er die Worte hörte und im unbewegten Gesicht seines Freundes den Entschluss las, unablenkbar wie der vom Bogen losgeschnellte Pfeil. Alsbald und beim ersten Blick erkannte Govinda: nun beginnt es, nun geht Siddhartha seinen Weg, nun beginnt sein Schicksal zu sprossen, und mit seinem das meine. Und er wurde bleich wie eine trockene Bananenschale.
    »O Siddhartha«, rief er, »wird das dein Vater dir erlauben?«
    Siddhartha blickte herüber wie ein Erwachender. Pfeil schnell las er in Govindas Seele, las die Angst, las die Ergebung.
    »O Govinda«, sprach er leise, »wir wollen nicht Worte verschwenden. Morgen mit Tagesanbruch werde ich das Leben der Samanas beginnen. Rede nicht mehr davon.«
    Siddhartha trat in die Kammer, wo sein Vater auf einer Matte aus Bast sass, und trat hinter seinen Vater und blieb da stehen, bis sein Vater fühlte, dass einer hinter ihm stehe. Sprach der Brahmane: »Bist du es, Siddhartha? So sage, was zu sagen du gekommen bist.«
    Sprach Siddhartha: »Mit deiner Erlaubnis, mein Vater. Ich bin gekommen, dir zu sagen, dass mich verlangt, morgen dein Haus zu verlassen und zu den Asketen zu gehen. Ein Samana zu werden, ist mein Verlangen. Möge mein Vater dem nicht entgegen sein.«
    Der Brahmane schwieg, und schwieg so lange, dass im kleinen Fenster die Sterne wanderten und ihre Figur veränderten, ehe das Schweigen in der Kammer ein Ende fand. Stumm und regungslos stand mit gekreuzten Armen der Sohn, stumm und regungslos sass auf der Matte der Vater, und die Sterne zogen am Himmel. Da sprach der Vater:
    »Nicht ziemt es dem Brahmanen, heftige und zornige Worte zu reden. Aber Unwille bewegt sein Herz. Nicht möchte ich diese Bitte zum zweiten Male aus deinem Munde hören.«
    Langsam erhob sich der Brahmane, Siddhartha stand stumm mit gekreuzten Armen.
    »Worauf wartest du?« fragte der Vater.
    Sprach Siddhartha: »Du weisst es.«
    Unwillig ging der Vater aus der Kammer, unwillig suchte er sein Lager auf und legte sich nieder.
    Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane auf, tat Schritte hin und her, trat aus dem Hause. Durch das kleine Fenster der Kammer blickte er hinein, da sah er Siddhartha stehen, mit gekreuzten Armen, unverrückt. Bleich schimmerte sein helles Obergewand. Unruhe im Herzen, kehrte der Vater zu seinem Lager zurück.
    Nach einer Stunde, da kein Schlaf in seine Augen kam, stand der Brahmane von neuem auf, tat Schritte hin und her, trat vor das Haus, sah den Mond aufgegangen. Durch das Fenster der Kammer blickte er hinein, da stand Siddhartha, unverrückt, mit gekreuzten Armen, an seinen blossen Schienbeinen spiegelte das Mondlicht. Besorgnis im Herzen, suchte der Vater sein Lager auf.
    Und er kam wieder nach einer Stunde, und kam wieder nach zweien Stunden, blickte durchs kleine Fenster, sah Siddhartha stehen, im Mond, im Sternenschein, in der Finsternis. Und kam wieder von Stunde zu Stunde, schweigend, blickte in die Kammer, sah den unverrückt Stehenden, füllte sein Herz mit Zorn, füllte sein Herz mit Unruhe, füllte sein Herz mit Zagen, füllte es mit Leid. Und in der letzten Nachtstunde, ehe der Tag begann, kehrte er wieder, trat in die Kammer, sah den Jüngling stehen, der ihm gross und wie fremd erschien.
    »Siddhartha«, sprach er, »worauf wartest du?«
    »Du weisst es.«
    »Wirst du immer so stehen und warten, bis es Tag wird, Mittag wird, Abend wird?«
    »Ich werde stehen und warten.«
    »Du wirst müde werden, Siddhartha.«
    »Ich werde müde werden.«
    »Du wirst einschlafen, Siddhartha.«
    »Ich werde nicht einschlafen.«
    »Du wirst sterben, Siddhartha.«
    »Ich werde sterben.«
    »Und willst lieber sterben, als deinem Vater
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher