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Shooting Stars (German Edition)

Shooting Stars (German Edition)

Titel: Shooting Stars (German Edition)
Autoren: Martin Mandler
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gebrechlich, als ob er nicht knapp 60, sondern weit über 70 wäre, sitzt er da. Ein junger Mann hält ihm die Türe auf. Und er scheint zu warten, bis er genug Kraft gesammelt hat. Kraft, um aus dem schützenden Stahlmantel der Karosserie zu steigen. Um die Fahrgastzelle hinter sich zu lassen. Diese paar Millimeter Blech, die ihn nicht vor mir, aber vor den vielen Menschen schützen, die da draußen stehen und die Dieter mit ihrem Gekreische und ihren gierigen Augen, mit ihren kläglichen Versuchen, sich an seiner Größe zu reiben, bedrängen.
    Er ist aus dem Wagen gestiegen. Lustlos winkt er ins Publikum. Professionell zu lachen, hat er gelernt. Den Wind der Begeisterung lächelnd über sich ergehen zu lassen. Und seine Angst nicht zu zeigen.
    Er wirkt kleiner als er ist. Kleiner als ich ihn mir vorgestellt habe. Er trägt ein leuchtend grünes Hemd, kein weißes. Und ein wenig, nein. Er wird mir nicht leidtun. Auch wenn ich mir vorstelle, wie er von seinem eigenen Bild erdrückt wird, wird er in diesem Spiel das Opfer sein. Der König, der fällt. Oder nein. Er ist nur der Hofnarr, denke ich. Einfach nur der Hofnarr, der zu meinem ersten Opfer wird. Der heute sterben muss, weil ich hier bin und weil ich mich entschlossen habe, auf ihn zu warten. Weil ich entschieden habe, dass dieser sonnige Montag der Tag ist, an dem Dieters Leben zu Ende gehen wird.

7
    Sie haben mich
vorübergehend
vom Dienst freigestellt. Für ein oder zwei Monate, in denen ich mich
erholen
sollte. In denen ich
zu Atem kommen
sollte, haben sie gesagt. Und mir erklärt, dass sie mich nicht loswerden, sondern in den Innendienst versetzen würden. An einen Schreibtisch. In ein klimatisiertes Büro. Und ich glaube, dass sie das tun wollten, weil sie kühle Rechner sind. Weil sie wissen, dass man Menschen, die getan haben, was wir getan haben, eine Zeit lang unter Aufsicht stellen sollte.
    Die Römer praktizierten das schon so, wurde mir erzählt. Oder ich habe gelesen, dass sie ihre Legionäre, die zurück in die Heimat gekommen waren, ein Jahr lang, ich glaube, es war ein Jahr, in dem sie diese Legionäre unter Aufsicht stellten. In dem ihre Soldaten keine echten Bürgerrechte mehr hatten. Während sie langsam und in Sicherheit wieder in das zivile Leben zurückfinden konnten.
    Selbst die Nazis haben sich über die drohende Verrohung der eigenen Soldaten Sorgen gemacht, und auch Churchill oder Roosevelt, ich weiß nicht mehr, wer diese Studie in Auftrag gegeben hat, die Briten oder die Amerikaner. Jedenfalls wollte man wissen, wie viele Tage ein durchschnittlicher Soldat an der Westfront psychisch durchhalten konnte. Wie lange er ertragen konnte, was einem Soldaten dabei begegnet sein mochte. Und am Ende der Untersuchung stellte sich heraus, dass die psychische Belastbarkeitsgrenze, die bei ein paar hundert Tagen lag, damals gar keine echte Rolle spielte. Dass man sie in die Planungen gar nicht wirklich miteinbeziehen musste. Aus einem einfachen Grund. Weil ein durchschnittlicher Soldat unter diesen Umständen meist körperlich gar nicht so lange durchhielt, wie er es psychisch vielleicht hätte können. Heute machen sie das anders, denke ich. Sie haben diese Belastbarkeitsgrenze festgelegt, sie mit hunderten Daten aus Studien untermauert. Und ich weiß zwar nicht, welche Parameter sie dabei anwenden, aber ich weiß, dass ich die Grenze der persönlichen Belastbarkeit in ihren Augen überschritten haben muss.
    Normale Soldaten schicken sie oft nach der ersten Tötung zurück nach Hause. Zumindest hat man mir von Fällen erzählt. Von einem Fall, in dem einer nur deshalb erfahren hat, dass er jemanden getötet hat, weil sie ihn vollkommen unerwartet zurückgeschickt haben.
    In meinem Fall war das anders. Bei mir haben sie sich aus einer zynischen Geste der Humanität heraus zu dieser Maßnahme entschlossen. Zu diesem Schritt, den ich nicht mitgehen wollte. Den ich nicht mitgehen konnte. Weil sie mich mit ihrer Fürsorge aufbrachten, mit ihrer Besorgnis über jemanden, den sie zum Töten benutzt hatten, und dem sie dieses Töten mehr oder weniger plötzlich, aus humanitären Gründen, wieder verbieten konnten.

8
    Sie werden es nicht begreifen. Und sie werden keine Ahnung haben, dass ich es bin, der ihn auf dem roten Teppich zur letzten Ruhe betten wird. Sie werden es nicht und sie dürfen es nicht begreifen. Denn dann wäre alles falsch. Dann müsste es aufhören. Ich müsste aufhören, noch bevor ich richtig begonnen habe.
    Wenn sie sich denken
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