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Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen

Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen

Titel: Shiver - Meine Rache Wird Euch Treffen
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ihn, doch als sie die Tür hinter sich verriegelte, konnte sie ihre eigene Unruhe nicht recht abschütteln. Zwar hatte sie noch nie jemanden auf dem Grundstück hinter ihrem Haus gesehen, doch einmal war immer das erste Mal. Sie ließ die Kamera auf dem Tisch im Esszimmer liegen und ging zurück in die Küche, wo das blinkende rote Lämpchen des Anrufbeantworters sie wieder an Zoey erinnerte.
    Abby und ihre Schwester hatten einander nie sehr nahe gestanden, nicht, solange sie denken konnte.
    Zum Teufel mit dir, Zoey Susanna, dachte sie, griff nach ihrem Glas und trank einen tiefen Zug. Warum konnte Abby ihrer Schwester nicht innig verbunden sein, dieses Gefühl verspüren, in ihr eine beste Freundin zu haben, das Gefühl, von dem alle, die es kannten, in den höchsten Tönen schwärmten? Lag es womöglich daran, dass der Altersunterschied zwischen Abby und Zoey so gering war, nur knapp vierzehn Monate? Oder lag es daran, dass Zoey so verdammt ehrgeizig war? Oder an ihrer kompromisslosen Art,
alles
zu tun, um als Siegerin dazustehen? Vielleicht aber, vielleicht war ihre Feindseligkeit genauso gut Abbys Schuld wie Zoeys.
    »Blasphemie«, flüsterte sie und ließ sich den kalten Wein durch die Kehle rinnen, was jedoch keine Abkühlung brachte.
    Es war heiß. Schwül. Die Ventilatoren in dem knapp hundert Jahre alten Haus konnten gegen die Hitze, die in diesem Teil des Bayou brütete, nichts ausrichten. Mit dem Zipfel eines Geschirrtuchs tupfte sich Abby den Schweiß von der Stirn.
    Hätte sie auf den Anruf reagieren sollen?
    Nein. Dazu war sie nicht bereit. Nicht heute. Wahrscheinlich nie.
    It was twenty years ago today …
    Der Text eines alten Beatles-Songs, eines Lieblingslieds ihrer Mutter, schoss Abby durch den Kopf. »Hör auf«, ermahnte sie sich. Sinnlos, die Vergangenheit aufleben zu lassen, wie sie es seit zwei Jahrzehnten zu tun pflegte. Es war an der Zeit, nach vorn zu schauen. An diesem Abend, das schwor sie sich, würde sie neu beginnen. Das war der Neuanfang von Abby Chastain, Phase II. Sie würde versuchen zu vergessen, dass genau an diesem Tag vor zwanzig Jahren, als ihre Mutter fünfunddreißig wurde – genauso alt wie Abby heute –, Faith Chastain ihrem qualvollen Leben ein Ende gesetzt hatte. Grauenhaft. Tragisch.
    »O Gott, Mom«, sagte Abby und schloss die Augen. Die Erinnerung, die zu unterdrücken sie sich so sehr bemüht hatte, drängte wie in Zeitlupe an die Oberfläche. Sie sah die Limousine ihres Vaters durch das offene schmiedeeiserne Tor fahren. Vorbei an gepflegten Rasenflächen in Richtung des hohen roten Backsteingebäudes, vor dem die Zufahrt einen Brunnen umrundete – einen Brunnen, aus dem drei Engel Wasser zum sternenklaren Himmel hinaufsprühten. Abby, die sich zu dieser Zeit bereits sehr für Jungen interessierte und überlegte, wie sie es anstellen sollte, Trey Hilliard zum Sadie-Hawkins-Tanz am Freitag einzuladen, stieg aus dem Wagen. Sie trug eine mit einer leuchtend fuchsiaroten Schleife verzierte Schachtel und blickte hinauf zum zweiten Stock, zu den Zimmerfenstern ihrer Mutter.
    Kein warmer Lichtschein fiel durch die Scheiben.
    Das Zimmer war dunkel.
    Und dann überkam Abby ein seltsames Gefühl, das wie einkalter Hauch ihren Nacken streifte und beinahe ihr Herz stocken ließ. Hier war etwas faul. Oberfaul. »Mama?«, flüsterte sie, bediente sich unwillkürlich des Kosenamens für ihre Mutter, den sie seit einem Jahrzehnt nicht mehr ausgesprochen hatte.
    Sie ging gerade die breiten Stufen zum Eingang der Anstalt für psychisch Kranke hinauf, als sie das Klirren hörte.
    Ruckartig hob sie den Kopf.
    Es regnete Glasscherben. Winzige Teilchen, in denen sich das bläuliche Licht spiegelte.
    Ein hässliches Kreischen zerriss die Dunkelheit. Ein Körper fiel vom Himmel. Unter dem Geräusch von brechenden Knochen landete er auf dem Beton.
    Angst überfiel Abby.
    »Nein! Nein! Neiiiin!« Sie ließ die Schachtel fallen und hastete die Stufen hinunter zu der kleinen, geschundenen Gestalt, die auf dem Rücken auf dem Boden lag. Blut quoll dunkel unter ihrem Kopf hervor, bildete eine Lache. Große whiskeyfarbene Augen starrten blicklos in den Himmel.
    Abby warf sich über die Tote.
    »Abby!«
    Wie vom Ende eines langen Tunnels her hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Die angespannte, verzweifelte Stimme ihres Vaters. »Abby, nicht! O Gott. Hilfe! Jemand muss Hilfe holen! Faith!«
    Tränen waren aus Abbys Augen gequollen, und das Grauen hatte sie bis in die tiefste Seele getroffen.
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