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Sharpes Lösegeld

Sharpes Lösegeld

Titel: Sharpes Lösegeld
Autoren: Bernard Cornwell
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an.
    »Kümmern Sie sich um Ihr Kind, Madame!«, befahl ihr der Bebrillte erneut. »Ich kann das Gezeter kleiner Kinder nicht ertragen.« Er wickelte einen Schal vom Hals ab und wärmte sich die Hände am Herd, während der erste Mann, der hereingekommen war, Lucille vom Waffenschrank wegdrängte. Er musste um die vierzig Jahre alt sein, und alles an ihm schrie heraus, dass er in den Kriegen als Soldat gedient hatte. Die Zöpfe waren das Erkennungszeichen von Napoleons Husaren gewesen, und das Gesicht zwischen ihnen war voller vernarbter Schnitte und den Flecken, die nach einer Pulververbrennung übrig bleiben. Er trug einen Armeemantel, an dem die funkelnden Knöpfe durch solche aus Horn ersetzt worden waren, während an der Feldmütze auf seinem Kopf noch immer Napoleons Wappen prangte. Er drückte Lucille auf einen Stuhl und wandte sich an den kleinen Mann. »Wir fangen jetzt mit der Suche an, Maître?«
    »Allerdings«, antwortete dieser.
    »Wer sind Sie?«, fragte Lucille wieder. Diesmal klang sie noch gebieterischer.
    Der kleine Mann zog seinen Mantel aus, unter dem er einen schäbigen schwarzen Anzug trug. »Sorg dafür, dass sie am Tisch bleibt«, sagte er zu einem seiner Leute, ohne Lucilles Frage zu beachten. »Der Rest von euch – sucht! Sergent, Sie beginnen oben.«
    »Wonach suchen Sie?«, verlangte Lucille zu wissen, als sich die Eindringlinge im ganzen Haus verteilten.
    Der kleine Mann wandte sich ihr wieder zu. »Sie besitzen einen Wagen, Madame?«
    »Einen Wagen?«, fragte Lucille verdutzt.
    »Wir finden ihn sowieso«, sagte der Mann. Er ging zum Fenster, wischte den Beschlag von einer Scheibe und spähte hinaus. »Ihr Engländer ist auf der Jagd, ja? Wann wird er zurückkommen?«
    »Wann es ihm beliebt«, sagte Lucille störrisch. Aus der alten Halle kam ein lauter Ruf, als einer der Fremden die Überreste des Lassan’schen Silbergeschirrs entdeckte. Früher einmal konnte der Herr dieses Châteaus vierzig Gäste vor silberne Gedecke setzen, doch heute waren nur noch ein großer Wasserkrug, einige Kerzenhalter und ein Dutzend schartige Teller übrig. Das Silber wurde in die Küche geschafft, und der kleine Mann befahl, es neben der Hintertür zu stapeln.
    »Wir sind keine reichen Leute!«, protestierte Lucille. Sie versuchte ihre Angst zu verbergen. Sie nahm an, dass ihr Hof von einer umherziehenden Bande aus verzweifelten alten Soldaten überfallen worden war, wie sie das gesamte ländliche Frankreich fürchtete. Die Zeitungen waren voll von ihren Verbrechen, doch Lucille hatte bisher geglaubt, dass diese Schwierigkeiten nie die Normandie erreichen würden. Sie deutete auf das Silber. »Mehr haben wir nicht!«
    »Sie haben mehr, Madame«, erwiderte der kleine Mann, »viel mehr. Und ich würde Ihnen raten, nicht den Versuch zu unternehmen, das Haus zu verlassen, sonst wird Brigadier Lebecque Sie erschießen.« Er nickte ihr zu, dann duckte er sich unter der Tür zur Treppe hindurch, um den Männern zu helfen, die die Schlafzimmer durchsuchten.
    Lucille sah den dünnen Mann an, der den Befehl erhalten hatte, sie zu bewachen. »Wir sind nicht reich«, sagte sie noch einmal.
    »Aber reicher als wir«, erwiderte der Brigadier. Er hatte ein Frettchengesicht, fand Lucille, mit schiefen Zähnen und blassgelben Augen und einem zerfetzten Ohrläppchen hinter dem linken Zopf. Sämtliche Husaren des Kaisers hatten diese Zöpfe getragen, die ihnen von den Schläfen wuchsen. Je länger der Zopf, desto länger die Dienstzeit. Sie waren ein Zeichen des Stolzes, ein Abzeichen des elitären Standes der Husaren, und dass sechs der Eindringlinge diese alten Zöpfe trugen, verkündete deutlich, dass ihre Treue zum Kaiser trotz seiner Verbannung nach St. Helena fortbestand. »Viel reicher als wir«, fügte er hinzu.
    »Sie werden uns nichts tun?«, fragte Lucille, Patrick in den Armen.
    »Das hängt von Ihrem Engländer ab«, erwiderte der Unteroffizier, »und der Gnade meines Sergent.«
    »Ihres Sergent?«, fragte Lucille. Sie vermutete, dass er damit den großen Kerl meinte, der als Erster in die Küche gekommen war.
    »Und mein Sergent«, fuhr der Brigadier fort, »kennt keine Gnade. Sie ist ihm im Krieg ausgetrieben worden. Sie ist uns allen ausgetrieben worden. Haben Sie Kaffee?«
    Aus der Ferne hallte ein Schuss, und Lucille überlegte, welche Schrecklichkeiten der Krieg in seinem Kielwasser zurückgelassen hatte. Sie erinnerte sich an die Geschichten von Mord und Plünderung, die das arme Frankreich plagten und
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