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Shardik

Titel: Shardik
Autoren: Richard Adams
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über den Schuh den Fuß vergessen hätte, wie es im Sprichwort heißt. Eine solche Handarbeit würde, nach Zakalon importiert, zweifellos einen bereitwilligen Käufermarkt finden. Inzwischen aber fragte er sich, wie man sich wohl in diesem Lande gegenüber Frauen von Rang zu verhalten habe. Offensichtlich ungezwungen, denn der Statthalter hatte ihm seine Frau allein zur Gesellschaft geschickt und erwartete daher zweifellos, daß er sich mit ihr unterhielt. Nun, er wollte sich nicht beklagen. Vielleicht hatte er das Land doch verkannt, obwohl es, dachte er, nach dem wenigen, das er in Zeray gesehen hatte, überraschend wäre, hier eine kultivierte Frau zu finden.
    Die junge Frau begrüßte ihn anmutig und würdevoll, wenn auch ihr Beklanisch ein wenig stockend wirkte; er nahm an, daß sie, wie der riesenhafte Diener, eine andere Muttersprache hatte. Man konnte von dem Fenster, wo sie stand, die einen halben Kilometer unter ihnen liegenden Schuppen und den Landungssteg vor dem rasch dahinwogenden Wasser an der Engstelle sehen. Sie fragte ihn lächelnd, ob er sich bei der Überfahrt gefürchtet habe. Siristru antwortete, ja, das habe er gewiß.
    »Ich bin ein großer Feigling«, sagte sie und goß ihm ein zweites Glas Wein sowie eines für sich ein. »Mich wird man, solange ich hier lebe, niemals auf die andere Seite bringen.«
    »Ich weiß, daß diese Seite Zeray heißt«, sagte Siristru. »Hat die Stelle auf der gegenüberliegenden Seite auch schon einen Namen?«
    »Wie du gesehen hast, existiert sie noch kaum«, antwortete sie, ihr langes Haar zurückwerfend. »Ich weiß nicht, wie die Deelguyer sie nennen – ich nehme an, Jo Herr oder so ähnlich. Aber wir nennen sie Bel-ka-Trazet.«
    »Der Name klingt schön. Hat er eine Bedeutung?«
    »Es ist der Name des Mannes, der den Gedanken der Fähre faßte und die Möglichkeit erkannte, wie sie funktionieren könnte. Aber er ist schon tot, weißt du.«
    »Wie schade, daß er ihre Vollendung nicht erlebt hat. Ich trinke auf sein Wohl.«
    »Ich auch.« Und sie berührte mit ihrem Silberbecher den seinen, so daß sie leise klirrten.
    »Sag mir«, er fand die Worte langsam und unter Schwierigkeiten, »– du verstehst, daß ich von eurem Land nichts weiß und möglichst viel darüber lernen muß – welche Rolle spielen die Frauen in – äh – nun, im Leben, das heißt im öffentlichen Leben? Dürfen sie Landbesitz haben, kaufen und verkaufen – zu Gericht gehen und so weiter – oder leben sie mehr – mehr zurückgezogen?«
    »Nein, das alles tun sie nicht.« Sie war erstaunt. »Tun sie es in deiner Heimat?«
    »Nun ja, diese Dinge sind für eine Frau sicher möglich – zum Beispiel für eine Frau mit einem Besitz, deren Mann gestorben ist, die auf ihrem Recht besteht und ihre Geschäfte selbst führen will, verstehst du.«
    »Ich habe noch nie von so etwas gehört.«
    »Aber du – entschuldige – mir fehlt das Wort – deine Art läßt mich vermuten, daß die Frauen hier ziemlich viel Freiheit haben.«
    Sie lachte, sichtlich erfreut. »Du darfst dich nicht nach mir richten, wenn du nach Bekla kommst, sonst wird dich ein Ehemann erdolchen. Ich bin ein wenig ungewöhnlich, es würde zu lange dauern zu erklären, wieso. Ich war einmal Priesterin, aber davon abgesehen habe ich ein – völlig anderes Leben geführt als die meisten Frauen. Und dann sind wir hier noch in einer abgelegenen, halbzivilisierten Provinz, und mein Mann kann fast jeden, Mann oder Frau, gebrauchen – besonders wenn es darauf ankommt, den Kindern zu helfen. Ich handle frei für ihn, und die Menschen lassen es sich gefallen, teils weil ich es bin, und teils weil wir jeden Kopf und jedes Paar Hände brauchen, das uns zur Verfügung steht.«
    Sollte sie einmal eine Art geheiligte Prostituierte gewesen sein? dachte Siristru. Es erschien ihm nicht wahrscheinlich. Sie hatte etwas Zartes und Empfindsames an sich, das anderes vermuten ließ.
    »Eine Priesterin?« fragte er. »Des Gottes von diesem Land?«
    »Von unserem Herrn Shardik. Ich bin gewissermaßen noch immer seine Priesterin – jedenfalls seine Dienerin. Das Mädchen, das du vorhin sahst, Zilthe, war früher einmal auch seine Priesterin. Sie wurde im Dienst schwer verwundet – dadurch wurde sie so, wie du sie jetzt siehst, die Arme. Sie kam aus Bekla hierher. Bei uns fühlt sie sich sicherer und glücklicher.«
    »Ich verstehe. Aber Shardik – seinen Namen höre ich heute zum zweitenmal. ›Shardik gab sein Leben für die Kinder, Shardik
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