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Shampoo Planet

Shampoo Planet

Titel: Shampoo Planet
Autoren: Douglas Coupland
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aber selbst heute beteuert Mama noch, sie würde alles darum geben, das Ganze ungeschehen zu machen...«
    »Bist du bis heute damit fertig geworden?«
    »Zieh nicht nach Seattle, Tyler.«
    »Laß mich damit in Ruhe, Jasmine, okay? Die Zeit ist vorbei. Ich habe ein eigenes Leben. Dinge ändern sich.«
    »Ich hasse Krähen. Sie fressen Eier aus den Nestern anderer Vögel.«
    »Gott noch mal, Jasmine. Mach ein Nickerchen. Werde heiter, oder ich gehe. Wie soll ich je 'n gutes Foto von dir hinkriegen, wenn du weiter solche Sachen erzählst? Denk an was Erfreuliches, wie umhertollende Kätzchen oder so was.«
    Aber ich kann natürlich verstehen, warum Jasmine im Moment ihre Innenwelt so trostlos ausstatten will. Ich stelle mir vor, daß ihre Lage ein bißchen so ist, wie wenn du dir den Kopf an einer Ecke der Schranktür stößt und der Schmerz so durchdringend, so intensiv und so sehr auf eine kleine Stelle konzentriert ist, daß du auf die Wunde schlägst, um den Schmerz zu dämpfen - um ihn vom Zentrum aus zu verteilen.
    »Versuch mal eine andere Pose«, schlage ich vor, während ich mein Stativ etwas näher heranschiebe und die Linse scharf auf Jasmines Gesicht und die Mondgesichtlaterne ausrichte. »Dreh deinen Kopf und sieh dem Kürbis direkt ins Gesicht, okay?«
    »Okay.«
    »Und jetzt stell dir vor, du seist bei einem Anstarr-Wettkampf, bei dem der gewinnt, der ohne zu blinzeln den anderen am längsten anstarrt, okay?«
    »Ist ja nicht allzu schwer.«
    Langweilige Aufnahmen. Nicht der Rede wert. »Laß uns was anderes versuchen. Stellen wir uns vor, Mister Kürbis sei Kittykat« (unsere Familienkatze), »und du starrst Kittykat in die Augen, als wolltest du darin Intelligenz aufflackern sehen - Kommunikation zwischen den Arten.«
    »Okay.«
    Ein klein wenig bessere Aufnahmen, aber nicht viel bessere. Ich brauche etwas Heißeres. »Wie wär's damit: Stell dir vor, Mister Kürbis ist der Mensch, den du am meisten auf der ganzen Welt fürchtest, der dich kaputtmachen will, klar? Dich auffressen.« Ich könnte mir selbst einen Tritt geben, daß ich das sage, aber es ist zu spät. Jasmines ausgeprägte Gesichtszüge verzerren sich vor Angst, mein Finger drückt auf den Auslöser, und ein Porträt von Jasmine ist geschaffen: ein Porträt, das sich ihre Enkel ansehen werden und durch das sie sie in Erinnerung behalten werden - ein Porträt von Jasmine, die der Welt so entgegenblickt, wie sie sich in diesem Moment ihres Lebens fühlt, in Angst und Schrecken versetzt von einem Monster, das sie eigenhändig gebastelt hat.

5
    Meine Erinnerungen beginnen mit Ronald Reagan - Gedanken und Ideen und Erinnerungsfetzen, die explosionsartig aufsteigen wie losgelassene weiße Vögel bei der Krönung des Königs. An die Zeit vor Reagan erinnere ich mich kaum: flüchtige, geisterhaft verwobene Bilder, die seltsamen, unbestreitbar traumgleichen Phantasmen einer grauen Ära: Steine als Kuscheltiere ... Unterwäsche zum Aufessen ... Ringe, die dir sagen konnten, wie du dich fühltest. Ich muß zu der Zeit geschlafen haben.
     
    Ich erinnere mich noch an andere Dinge. Ich kann dir von einer Hippie-Kommune erzählen, einer Kindheit unter den Bäumen einer Insel in British Columbia. Laß mich berichten von Schlafsäcken, die nach Lachs rochen, von knurrenden grauen Hunden mit eisblauen Augen, von Erwachsenen, die sich manchmal wochenlang in den Wäldern verirrten und stolpernd zurück in die Kommune fanden, mit aufgerissener, verschonter Haut, das Haar wirr wie Farnkraut, die Augen blind von der Sonne und ihre Sätze zusammenhanglos, bereits mit eigenen Antworten durchsetzt.
    Ich kann dir von dreckverkrusteten und dann weggeworfenen Klamotten erzählen, von Daisy und mir in jungen Jahren, nackt und einander mit Algensträngen peitschend, während Jasmine und Neil daneben saßen und verschlafen ins Strand-Lagerfeuer starrten, weit entfernt von unserem plumpen, in die Bäume eingebetteten Kommunehaus aus Zedernholz.
    Ich erinnere mich an über den wackeligen Holzfußboden verstreute Bücher. An aus Fahnen fabrizierte Morgenröcke, Unmengen von Eintopf und Kerzen aus Bienenwachs. Ich erinnere mich an Erwachsene, die Stunden damit verbrachten, auf die kleinen, schillernden, regenbogenfarbenen Brechungen eines Fensterprismas zu glotzen. Ich erinnere mich an Frieden und Licht und Blumen.
    Aber ich kann dir auch davon erzählen, wie es war, wenn etwas schieflief, von behaarten Gesichtern, violett vor Wut und Anklage, von plötzlich verschwundenen
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