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Shampoo Planet

Shampoo Planet

Titel: Shampoo Planet
Autoren: Douglas Coupland
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gegen andere Geheimnisse eingetauscht? Welche Liebenswürdigkeit gegen Korruption? Licht gegen Dunkelheit? Lügen gegen Wahrheiten? Neugierden befriedigt, um mir dafür Ängste einzuhandeln? Ins gesamt komme ich auf einen klaren Verlust. Ich habe das Gefühl, daß da noch irgendeine wichtige Offenbarung auf mich wartet, eine Erkenntnis, die ich schlicht übersehen habe. Oder ist dieses Gefühl, etwas übersehen zu haben, einfach nur etwas, was du hast, wenn du älter wirst? Ich trinke meine Cola aus.
    Ich lege mich hin, meinen Kopf aufs Kissen, und fühle mich auf einmal schläfrig. Vielleicht kommt Anna-Louise in ein paar Monaten nach Seattle, um bei mir zu wohnen, und dann kann sie auf meinem Fußboden schlafen, und wir können uns so eine Zeitlang die Wohnung teilen und neue Freunde finden und mit diesen neuen Freunden in guten Restaurants essen gehen, und dann treiben wir auseinander und verlieren im Laufe der Jahre den Kontakt - vergessen, Weihnachtskarten zu schreiben und anzurufen. Und dann werden unsere Erinnerungen verblassen, zerfallen wie die schwereren Transuran-Elemente, und wir sind auf einmal von anderen Leuten geschieden und wohnen in großen Häusern mit ineinandergreifenden Pflastersteinen, Raumspray und echt-zehnkarätigen-goldenen Wasserhähnen. Und dann werden wir noch älter und unser Gedächtnis läßt uns fast ganz im Stich. Aber was immer auch geschehen wird - wie weit die Kluft zwischen uns auch immer werden mag -, wir werden im Gedächtnis des anderen stets der letzte Mensch sein, den er vergessen wird. Weil wir der erste dort waren.
    Merkwürdigerweise werde ich davon geweckt, wie warmes Wasser unter meine Füße läuft. Ich mache die Augen auf und sehe, wie das kühle, klare Mondlicht die Teppichlandschaft beleuchtet. Über meinem Kopf höre ich Geflatter und, während ich noch groggy daliege, nehme ich langsam Gestalten wahr, die sich vor mir bewegen. Irgend etwas mit der Geometrie des Raumes stimmt nicht, aber ich brauche einen Augenblick, um zu erkennen, was genau es ist. Ein junger Cockerspaniel leckt mir übers Gesicht.
    Die Zimmerdecke von einst ist jetzt eine Brücke. Der Fußboden über Anna-Louise und mir ist unter dem Gewicht des Karpfenteichwassers eingebrochen und ins darunterliegende Schlafzimmer gestürzt - ist zu einer Planke für die vielen Tiere aus Mr. Lancasters Kleinzoo geworden.
    Die Umrisse des Raumes werden schärfer. Wellensittiche und Kanarienvögel rauschen im Zimmer durch die Luft. Kleine Kätzchen tänzeln um die zuckenden und sich krümmenden, zappelnden Karpfen vor meinen Füßen auf dem Boden herum und versuchen, sie zu fangen. Einer der jungen Cockerspaniels leckt mit seinem Schnäuzchen den letzten Colatropfen vom Boden des Glases neben mir und erschaudert vor Vergnügen, als ich ihn am Kopf kraule. Ein Tier nach dem anderen schmückt jede verfügbare Oberfläche des Zimmers, und immer noch kommen mehr von ihnen von oben herab in unser Leben geströmt, einige von der Schwerkraft angezogen, andere rutschen neugierig auf dem leicht federnden Sprungbrett der eingebrochenen Decke herunter.
    Anna-Louises Stereoanlage ist ein einziger Trümmerhaufen , triefend vor Nässe und jetzt das neue Zuhause eines rosafarbenen Vogeltrios. Nicht daß dies von Bedeutung wäre. Die gesamte Technik des Zimmers liegt in Trümmern, aber darum geht es auch gar nicht.
    Als ich hochblicke, sehe ich Albert Lancaster, dessen Beine über den Rand der Decke herabbaumeln. Hinter diesen Beinen befindet sich seine schattenhafte Person. Er schlürft ein Bier und sieht zu uns und den Veränderungen in der Welt herunter. Ich greife nach dem Glas neben mir, das der Hund saubergeleckt hat, und proste Albert damit nach oben zu.
    »Skal«, sage ich.
    »Mphhh... Was hast du gesagt, Tyler?« murmelt Anna-Louise im Bett über mir.
    Ich stehe auf, und ein zahmer blauer Vogel landet auf meiner Schulter und versucht, an meinem Ohrläppchen zu knabbern. Sanft rüttle ich Anna-Louise vollends wach. »Anna-Louise, wach auf«, sage ich. »Wach auf - die Welt ist lebendig.«

so long
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