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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch
Autoren: Marjorie M. Liu
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finden.«
    Was eigentlich unnötig sein sollte. Artur war die Trumpfkarte der Agentur, derjenige, der fast nie versagte, der zuverlässig einen Ort, einen Namen und etwas Persönliches benennen konnte, eine Spur, meistens aus Tränen, die zur Lösung des betreffenden Falles führte. Diesmal jedoch nicht.
    »Komm«, sagte Dean. »Verschwinden wir hier.«
    Sie verließen das Haus auf demselben Weg, auf dem sie es betreten hatten: durch die Hintertür. Einzusteigen war sehr einfach gewesen: Hier gab es alte Schlösser, die leicht zu knacken waren. Ihre Quellen bei der Polizei hatten vermutet, dass auch der Mörder diesen Weg mit seinem Opfer genommen hatte. Ein Serienmörder, der drei Frauen vergewaltigt hatte, bis sie starben, nachdem er sie in die Häuser von Fremden geschleppt hatte.
    Marilyn Bennington war die letzte gewesen: eine freche Blondine, zwanzig Jahre alt. Mitglied bei Kappa Kappa Gamma. Sie joggte gern.
    Nach einem dieser Läufe war sie verschwunden, zwei ganze Tage lang, bis die Vetters aus ihrem Urlaub nach Hause gekommen waren und ihre Leiche im Keller gefunden hatten, nackt und regungslos. Sie war an inneren Verletzungen gestorben. Und verblutet, aus gewissen Körperöffnungen.
    Die Polizei fand keine Spuren, weder Fingerabdrücke noch DNA. Mit Sicherheit wussten sie nur, dass der Mörder unglaublich stark und raffiniert gewesen war, ein klassischer Soziopath, der den Tod als ein Mittel benutzte, eine lebenslang angestaute Wut an Frauen auszulassen. Der Polizei zufolge ein sehr typisches Profil.
    Nur, das wusste Artur, war an dem Geist, dem er eben gelauscht hatte, gar nichts typisch. Es war nur ein Echo, der Widerhall einer Erinnerung, aber er hatte genug gesehen, um zu wissen, dass dieser Mann von mehr als nur von Wut und Überheblichkeit angetrieben wurde. Er genoss seine Arbeit. Es war eine harte, bittere Freude, die weniger mit den Frauen zu tun hatte als vielmehr mit Schmerz.
    Es war Mitternacht. Der Tatort war erst am Nachmittag freigegeben worden, was meist bedeutete, dass sich lärmende Medienvertreter an Türen und Fenstern die Nasen platt drückten, um einen exklusiven Blick auf den Tod zu erhaschen. Doch diesmal hatte die Polizei ihre Lecks gut abgedichtet. Vielleicht würde das Haus morgen belagert werden, aber noch war es nicht so weit. Heute blieb es ruhig; die dicken Bäume um das alte Haus im Kolonialstil boten wohlwollenden Eindringlingen den perfekten Schutz. Die Vetters lebten in einem ländlichen Vorort, wo es nur wenige Nachbarn und noch weniger Autos auf den Straßen gab.
    Dean schloss die Hintertür, zog ein Taschentuch aus der Tasche und wischte den Messingtürknauf ab. Sie hatten keine Latexhandschuhe getragen, um Fingerabdrücke zu vermeiden. Normalerweise las Dean Objekte, doch in diesem Fall hatte Dirk und Steele beschlossen, dass vier Hände besser wären als zwei. Was allerdings nicht viel geholfen hatte.
    Artur hörte ein Rascheln: trockene Blätter, Zweige, die aneinanderschlugen. Das war nicht der Wind. Artur griff nach seiner Waffe.
    Ein kleiner, in Licht gebadeter Körper glitt von den Bäumen zu ihnen herunter und landete hüpfend und mit schlagenden Flügeln im Gras vor ihnen. Das Licht wurde gedämpfter, und eine Krähe blickte Artur mit gerissen wirkenden goldenen Augen an. Dean fluchte. Artur konnte seine Gereiztheit nachvollziehen.
    »Wir versuchen, unauffällig zu sein«, erklärte er dem Vogel. Die Krähe gab ein heiseres Krächzen von sich, das verdächtig nach einem Lachen klang. Dean trat nach ihrem Kopf, doch die Krähe wich seinem Fuß mühelos aus. Goldenes Licht glitt wie kaltes Feuer über ihre Federn, und im nächsten Augenblick erhob sich ein nackter Mann aus dem Gras. Mit dunklem Haar und golden glühenden Augen, deren Glanz im nächsten Moment wieder erlosch.
    »Hast du mal ’ne Zigarette?« Er rollte die Schultern. Seine langen, schlanken Arme waren mit Tätowierungen bedeckt. Artur roch Rauch und Leder.
    Dean schüttelte den Kopf. »Ich bring dich noch mal um, Koni.«
    »Klar«, erwiderte der Gestaltwandler. »Das behauptest du jedenfalls immer.«
    Dean trat auf ihn zu, doch Artur hielt ihn an der Schulter fest.
    Koni lachte leise. »Mistkerl. Glaubst du, ich würde die Nummer abziehen, wenn jemand in der Nähe wäre? Für was hältst du mich?«
    »Hast du was rausgefunden, während wir drin waren?« Warnend drückte Artur Deans Schulter. Er hatte keine Energie für einen Streit. Nicht jetzt, solange Marilyn immer noch in seinem Kopf starb.
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