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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch
Autoren: Marjorie M. Liu
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zu müde. Er war einfach zu erschöpft, um sich seiner Paranoia hinzugeben.
    Ein wenig Müdigkeit sollte dich nicht davon abhalten. Ein wenig Sicherheit ist mehr wert als Müdigkeit.
    Artur warf seine Handschuhe auf den Esstisch, auf dessen polierter Oberfläche sich eine Straßenlampe vor seinem Haus spiegelte. Er fuhr mit den Fingern über die glatte Oberfläche, das kühle Holz und den leichten Film der Politur. Wie ein Blinder sah er wundervolle Einzelheiten mit den Fingern, obwohl sich hier und jetzt nichts in ihm regte - außer der Vertrautheit seines eigenen Geistes. Artur zog sein Jackett aus und hängte es über eine Stuhllehne. Der Holzfußboden fühlte sich unter seinen Füßen gut an. Gut und sicher und vertraut.
    Sein Haus war der einzig verlässliche Platz in seinem Leben. Die Dinge um ihn herum befanden sich schon so lange in seinem Besitz, dass sie sämtliche Spuren der Fremden verloren hatten. Jedes Möbelstück, jedes Kleidungsstück, selbst Messer, Gabeln und Löffel musste er lange benutzen, bevor er nur noch sich selbst fühlen konnte. Und so waren sogar seine Wände nur noch auf seine Gegenwart eingestimmt.
    Artur empfing nie Gäste. Und mochte auch keine Überraschungsbesuche in seinem Haus. Überraschungen hob er sich für die Arbeit auf, für die Welt jenseits seiner Fenster und Türen. Das Zuhause sollte berechenbar bleiben, hinreißend und wundervoll berechenbar.
    Er ging in die Küche, um etwas zu trinken. Die LED-Anzeige des Anrufbeantworters blinkte. Eine Nachricht.
    Merkwürdig. Artur bekam sonst keine Anrufe. Seine Nummer war nicht eingetragen, und seine Freunde in der Agentur wussten, dass er lieber auf dem Handy angerufen wurde. Die Anrufe, die er in den sechs Jahren, die er nun hier wohnte, erhalten hatte, waren an einer Hand abzuzählen. Wer das hier sein mochte, konnte er sich nicht vorstellen.
    Den Anrufbeantworter besaß er aus einem Grund. Artur drückte den Knopf, ging weiter, öffnete die Klappe der Geschirrspülmaschine und nahm ein sauberes Glas heraus. Die Maschine surrte, nannte die Zeit, und dann ...
    Störte eine weibliche Stimme die Ruhe seines Hauses. Sie klang weich, russisch und so vertraut. Artur hätte das Glas fast fallen lassen.
    Tatyana. Tatyana Dimitriyewna. Sie rief ihn an.
    Der Klang ihrer Stimme verwirrte ihn so sehr, dass er den Inhalt ihrer Nachricht nicht begriff. Er rief die Nachricht ein zweites Mal ab, verstand jedoch immer noch nicht, was sie ihm sagen wollte. Er konnte nur daran denken, dass dieser
    Anruf unmöglich war. Es war fast so lächerlich, ihre Stimme zu hören, als hätte seine Mutter daraufgesprochen.
    Artur spielte die Nachricht ein drittes Mal ab. Diesmal hörte er genau zu, hielt sich am Tresen fest und schloss die Augen. Die Verbindung war schlecht, und ihre Worte verschwammen manchmal.
    »Hallo, Artur, ja, ich bin’s. Aber mach dir keine Hoffnungen. Ich rufe nicht an, um Nettigkeiten auszutauschen. Ich bin an Geld gekommen, also kannst du jetzt aufhören, Schecks zu schicken. Ich brauche dich nicht mehr. Keine Almosen mehr. Du fragst dich sicher, warum, ja? Ob ich einen reichen alten Dreckskerl geheiratet habe? Ha! Was für ein Witz! Nein, es waren Männer hier, die sich nach dir erkundigt haben. Sie wollten alles wissen. Alles, Artur. Sie haben für diese Informationen gut gezahlt. Du verstehst sicher. Ich wollte dich nicht vor diesen Männern warnen, sondern habe nur angerufen, weil ich dein Geld nicht mehr will. Ruf nicht zurück.«
    Ruf nicht zurück. Als wenn er das wagen würde. Er hörte die Nachricht noch einmal ab und konzentrierte sich auf die Stelle, wo sie die M änn er erwähnt hatte, die mit ihr gesprochen hatten. Männer, die nach ihm gefragt hatten. Männer, die reich genug waren, Tatyana ein bequemes, unabhängiges Leben zu erlauben.
    Das würde sehr viel Geld kosten. Artur kannte Tatyana ziemlich gut; sie hatte einen kostspieligen Geschmack. Sie mochte ihn hassen, und das auch zu Recht, aber sie liebte sein Geld. Dass sie ihm jetzt sagte, er sollte aufhören, ihr Geld zu schicken, nach fast sechs Jahren monatlicher Zahlungen ...
    Das bedeutet nichts Gutes.
    Und zwar deshalb nicht, weil Tatyana eine der wenigen Personen außerhalb der Agentur war, die von seiner Gabe wussten. Sie war seine erste Liebe gewesen, sein erster Engel;
    er hatte ihr alles gesagt, ihr sogar seine kostbarsten Geheimnisse anvertraut. Lange bevor Dirk und Steele an ihn herangetreten waren, hatte sich Artur auf Tatyana verlassen, als seinen
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