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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch
Autoren: Marjorie M. Liu
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nicht, wenn noch so vieles zu erledigen war.
    »Mir gefällt das nicht«, meinte Artur. »Fahr zurück. Ich will noch mal ins Büro.«
    Dean schüttelte den Kopf. »Irgendwo muss man mal einen Strich ziehen. In deinem Kopf schwimmen so viele Erinnerungen herum, dass ich mich manchmal frage, wie du überhaupt noch arbeiten kannst. Mach eine Pause. Eine Nacht wird dich nicht umbringen.«
    »Du hast nicht gesehen, was dieser Mann Marilyn angetan hat. Du hast sein Vergnügen nicht gefühlt. Selbst für >eine Nacht< ist keine Zeit, Dean. Vielleicht später, aber nicht jetzt.«
    »Hör zu. Ich will nicht so tun, als könnte ich verstehen, was du in dem Kopf dieses Mörders gefühlt hast, aber ich kenne dich. Es gibt kein >später<. Jeder Fall hat die höchste Priorität, und du bist einfach nicht dazu veranlagt, unverantwortlich zu handeln. Wenn dich nicht jemand zwingt, eine Pause einzulegen, wirst du weitermachen, bis du tot umfällst. Das werde ich nicht zulassen.«
    »Ich bin dir für deine Umsicht wirklich sehr dankbar.«
    Dean warf ihm einen bissigen Blick zu. Artur sah aus dem Fenster. Er brauchte tatsächlich eine Pause - und sein Zuhause, wo er die Welt und das ganze Elend, das dort wartete, für eine Weile ausschließen konnte. Ein wenig Frieden, etwas Stille für sein schmerzendes Hirn.
    Aber nicht jetzt. Nicht, solange Marilyn in seinem müden Kopf weinte.
    Sie hielten vor Arturs Haus, einem alten Rotziegelgebäude abseits der Straße, zu dem ein gewundener, gepflasterter Fußweg führte. Dean tippte auf das Lenkrad. Artur blieb sitzen und wartete.
    »Du kannst jetzt aussteigen«, sagte Dean schließlich. »Zwing mich nicht, dich rauszuschubsen.«
    »Warum nicht? Das würde dir doch gefallen.«
    Dean wollte etwas erwidern, aber Artur kam ihm zuvor und winkte ab. »Schon gut, ist ja gut. Ich steige aus, gehe brav ins Haus und lege mich artig ins Bett. Zufrieden?«
    »Wehe, wenn du nicht dableibst«, drohte Dean.
    »Ja, Matuschka.«
    »Genau. Danke Gott, dass ich nicht deine Mutter bin.«
    Artur verzichtete darauf, Dean zu sagen, dass selbst er vermutlich eine bessere Mutter gewesen wäre als die, die er gehabt hatte. Doch es waberte in dieser Nacht schon genug Mitleid durch die Luft.
    Er stieg aus. Vielleicht würde er sich wirklich hinlegen, eine oder zwei Stunden, und dann ins Büro zurückfahren. Wahrscheinlich würde Dean ebenfalls dort sein, zusammen mit den anderen von ihrer Abteilung. Niemand schlief viel, wenn es einen Fall aufzuklären galt, und es gab immer Fälle unterschiedlicher Komplexität und Dringlichkeit aufzuklären. Artur blieb auf der Straße stehen, bis Dean schließlich losfuhr, und sah den Heckleuchten nach, bis sie an der Kreuzung verschwanden. Unbehagen erfüllte ihn. Obwohl er vorhatte, zur Arbeit zurückzukehren, kam es ihm wie ein Fehler vor, Dean wegfahren zu lassen. Es war unverantwortlich. Marilyn schluchzte noch immer in seinem Kopf.
    Sein Unbehagen wuchs, als er über den schmalen Weg zu seinem Haus ging. Die Luft roch nach den Petunien seines Nachbarn, frisch und einen Hauch bitter.
    Artur zog den Handschuh aus und tastete das Holz der Vordertür ab, rund um das Schlüsselloch und den Türknauf. Nichts. Nur das Echo seiner eigenen Seele. Ein wenig beruhigter betrat er sein Haus, schloss Petunien und nächtliche Schatten aus und streifte die Schuhe ab.
    Das Haus war ziemlich groß, vor allem deshalb, weil Artur niemals etwas Großes besessen hatte, das nur ihm allein gehörte. Er hatte sich in jungen Jahren geschworen, sich ein geräumiges, gemütliches und sauberes Haus zu kaufen, wenn er die Chance dazu bekam. Dazu hatte das Haus Fenster, viele Fenster in unterschiedlichen Größen. Er hatte lange Zeiten seines Lebens in dunklen Räumen gehockt, und jetzt kam es ihm wie eine Strafe vor, eine Sünde, wenn er ohne Licht dasaß, ohne einen Blick auf die Welt jenseits seiner vier Wände. Es spielte auch keine Rolle, dass Fenster indirekt eine Gefahrenquelle waren. Es kümmerte ihn nicht einmal.
    Die Fensterläden waren geöffnet. Artur ließ sie offen. Allerdings schaltete er auch keine der Lampen mit den Milchglasschirmen an, die wie kalte Blumen überall in dem Raum verteilt waren. Er schlenderte in fast vollkommener Dunkelheit durch sein Haus: Es war ein Ritual, eine alte Gewohnheit, die er nur schwer ablegen konnte. Wenn er nachts das Licht anschaltete, bedeutete das: Er musste die Jalousien herunterziehen, damit er kein so gut sichtbares Ziel abgab. Dafür war er jetzt jedoch
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