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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg
Autoren: Judith Lennox
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Abwesenheit erfahren haben könnte, das geliebte Gesicht.
    Franco Guardi war hochgewachsen und für einen Italiener ein erstaunlich heller Typ. Serafina sah ihm nicht ähnlich: Sie war klein und dunkelhaarig wie ihre Mutter, die aus der Provence stammte.
    »Herr …« Marthe hatte sich schlaftrunken aus dem Sessel hochgestemmt und sank taftraschelnd in einem tiefen Knicks zu Boden. »Es ist schön, Sie wohlbehalten wiederzusehen. Lauf, Kind.«
    Letzteres war an Lisette gerichtet, die gehorsam verschwand.
    »Wir haben Rosalie ein Bett gemacht, Papa.« Serafina nahm ihn bei der Hand und zog ihn zu der Schublade. »Schau – hat sie es nicht bequem?«
    »Sehr bequem«, lächelte er. »Komm her, Petite, ich habe eine Neuigkeit für dich. Angelo, Jehan und Marthe – ihr müßt sie auch hören.«
    Angelo und Jehan, die die Treppe heraufgekommen waren, um ihren zurückgekehrten Arbeitgeber zu begrüßen, hatten auf dem Flur gewartet. Jetzt traten sie ins Zimmer.
    »Als ich in Florenz war«, berichtete Franco Guardi, »habe ich natürlich auch unsere alten Freunde, die Corsinis, besucht – und ich erfuhr von Michele, daß er sich wieder verheiraten will. Nach einem langen Gespräch traf er eine Entscheidung, die, wie ich voller Freude sagen darf, meine uneingeschränkte Zustimmung fand: Du wirst Michele Corsini heiraten, Serafina!«
    Ihre erste Empfindung war Verwirrung. Heiraten war etwas für erwachsene Frauen und für Prinzessinnen in Märchen – aber nichts für Serafina Guardi, die hier in Marseille alles hatte, was sie sich wünschte. Und dann erwachte Furcht in ihr: Ihr Vater hatte über sie gesprochen wie über eine Schachfigur, wie über ein Tauschobjekt bei einem Handel. Er wollte sie fortschicken! Weshalb?
    Ihre Augen brannten. Sie ließ die Hand ihres Vaters los, wandte sich ab, damit er ihr Gesicht nicht sähe, beugte sich über die Schublade, hob die Puppe heraus und drückte sie fest an ihre Brust.
    »Marthe wird dir ein wunderschönes Kleid nähen, Serafina«, lockte ihr Vater. »Angelo wird mit dir zum Lagerhaus gehen, und dort darfst du dir die Seide dafür aussuchen.« Lächelnd berührte er Rosalies Kopf und schmeichelte: »Und für deine Puppe darfst du auch ein neues Kleid nähen.«
    »Sie heißt Rosalie«, erinnerte Serafina ihn. Ihre Stimme zitterte kaum merklich. »Aus der gleichen Seide, Papa?« Franco Guardi strahlte. »Natürlich, mein Schatz.« Mit einem Handzeichen bedeutete er Angelo, den Festtagswein einzuschenken.
    Serafina dachte an das Kleid, das sie für Rosalie schneidern würde: blau, mit Sternen und Monden auf dem Mieder …
    Sie atmete tief durch, jetzt war ihr nicht mehr zum Weinen zumute. Sie war sich ihrer Pflicht bewußt, seit sie denken konnte – schließlich war sie das einzige Kind ihres Vaters und damit die Alleinerbin. Ohne sie gäbe es niemanden, der sich um das Haus, die Schiffe, die Lagerhäuser, die Maultierkarawanen und die Schaluppen kümmerte, auf denen die Seidenstoffe nach Norden transportiert wurden.
    Serafina hob den Kopf und blickte in die Runde: Marthes Gesicht drückte Stolz aus, Jehan de Coniques' Gleichgültigkeit und Angelos – sie konnte keinen Zorn bei ihm darüber entdecken, daß nun ein Fremder bekäme, was unter anderen Umständen vielleicht ihm gehört hätte. Nein, in seinen Augen stand Resignation. Als habe er gewußt, daß es so kommen würde.
    Die Heirat mit Michele Corsini bedeutete, daß sie ihrem geliebten Marseille würde Lebewohl sagen müssen. Der Gedanke ließ erneut Tränen in ihre Augen schießen. Sie drängte sie zurück.
    Sie tranken ihr zu. Eine Neunjährige wurde von drei erwachsenen Männern geehrt – und nächstes Jahr würde eine Zehnjährige mit einem Mann verlobt werden, der so alt war wie ihr Vater. Plötzlich stieg Stolz in Serafina auf. Am nächsten Tag suchte sie die blaue Seide aus.
    Eine Woche später, als die Unruhe und die Arbeit, die Franco Guardis Heimkehr mit sich brachten, nachgelassen hatten, machte Angelo mit Serafina einen Ausflug. Das tat er, wenn er Zeit hatte, einmal im Monat, sofern das Wetter es erlaubte. Dieser Tag war besonders schön, kaum Wind und ein wolkenloser Himmel. Sie ritten durch die weißen Hügel hinter Marseille – Serafina auf ihrem gutmütigen Muli, Angelo auf seinem kleinen spanischen Pony. Serafina war in levantinische Seide gekleidet, saß auf einem Sattel aus spanischem Leder, und ihre Handschuhe waren mit einem exotischen Duft von den Westindischen Inseln parfümiert. Doch das alles
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