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Septimus Heap 06 - Darke

Titel: Septimus Heap 06 - Darke
Autoren: Angie Sage
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der Zunge schmecken konnte. Er blickte zum Fenster hinüber. Es ging tief hinab.
    Seine Gedanken überschlugen sich, während er zum Fenster rannte. Wenn er sprang, landete er mit etwas Glück auf dem Balkon zwei Stockwerke tiefer. Vielleicht bekam er auch das Regenrohr zu fassen. Oder sollte er sich lieber aufs Dach hinaufhangeln?
    Das Gespenst sah ihn ungehalten an. »Lehrling, du wirst jetzt mitkommen. Oder muss ich dich holen?« Seine Stimme tönte unheilvoll in der niedrigen Kammer.
    Simon entschied sich für das Regenrohr. Er riss das Fenster auf, kletterte halb hinaus und fasste nach dem dicken schwarzen Rohr, das an der Mauer des Zollhauses nach unten lief. Hinter ihm brach ein wütendes Geheul los, und als er die Füße vom Fenstersims schwingen wollte, spürte er eine unwiderstehliche Kraft, die ihn wieder ins Zimmer zog – das Gespenst hatte ihn mit einem Holzauber belegt.
    Simon wusste, dass er so einem Zauber nicht widerstehen konnte, und dennoch klammerte er sich verzweifelt an das Rohr. Gleichzeitig wurde er so kräftig an den Füßen gezogen, dass er sich wie ein Seil beim Tauziehen vorkam.
    Plötzlich brach das rostige Metall, das sich unter der dicken schwarzen Farbe verbarg, in seinen Händen, und Simon flog samt Rohr und allem ins Zimmer zurück. Er knallte gegen den knochigen – und dennoch eklig weichen – Leib des Gespensts und stürzte zu Boden. Zu keiner Bewegung fähig, blieb er liegen.
    Das Gespenst grinste auf ihn herab. »Du wirst mir jetzt folgen«, flötete es.
    Wie eine Puppe wurde Simon auf die Beine gestellt, wankte aus dem Zimmer und stakste mit ruckartigen Schritten die lange, schmale Treppe hinunter. Das Gespenst schwebte voraus.
    Draußen auf dem Hafenplatz verblasste das Gespenst zu einem undeutlichen Schatten, sodass Maureen, die gerade die Fensterläden ihrer Pastetenbäckerei öffnete, nur Simon sah, der steifbeinig über den Kai stelzte und auf die Vordere Gasse zusteuerte. Maureen rieb sich die Augen. Sie musste etwas Staub hineinbekommen haben, denn alles um Simon herum sah merkwürdig verschwommen aus. Sie winkte ihm fröhlich zu, doch er reagierte nicht. Schmunzelnd klemmte sie den letzten Fensterladen fest. Er war schon ein komischer Vogel, dieser Simon. Ständig die Nase in Zauberbüchern oder einen Zauberspruch auf den Lippen.
    »Die Pasteten sind in zehn Minuten fertig«, rief sie. »Ich lege dir eine mit Gemüse und Speck zurück.« Aber Simon war bereits in der Seitengasse verschwunden, und Maureen konnte wieder klar und deutlich den leeren Hafenplatz sehen.
    Wird jemand mit einem Holzauber belegt, gibt es kein Halten, kein Säumen und kein Verschnaufen, bis der Betreffende an seinem Bestimmungsort eingetroffen ist. Ein ganzen Tag und eine halbe Nacht war Simon unterwegs, watete durch Marschen, schlüpfte durch Hecken, stolperte über steinige Wege. Er wurde von Regengüssen durchnässt, von Winden durchgerüttelt, von Schneegestöber durchkühlt, doch um nichts in der Welt konnte er stehen bleiben. Er marschierte und marschierte, bis er im kalten grauen Licht des nächsten Morgens an einen Fluss gelangte. Er durchschwamm die eisigen Fluten, stieg ans andere Ufer, taumelte über eine taufeuchte Wiese und kletterte schließlich eine bröcklige, efeuberankte Mauer hinauf. Oben angekommen, wurde er durch eine Dachluke gezogen und in eine fensterlose Kammer geschleift. Als die Tür hinter ihm verriegelt wurde und er allein gelassen wurde, ausgestreckt auf dem Boden, wusste er nicht mehr, wer er war. Oder wo er war. Und es war ihm auch egal.

* 2 *
    2.  Besucher
     

    D i e Nacht brach an, und kalter Nieselregen setzte ein, als die Porter Fähre am Neuen Kai, einer unlängst aus Stein errichteten Anlegestelle direkt neben Sally Mullins Tee- und Bierstube, anlegte. Die müden Fahrgäste erhoben sich steif von ihren Plätzen und wankten mit ihren Kindern, Hühnern und Gepäckstücken über die Gangway ans Ufer. Viele folgten auf wackligen Beinen dem ausgetretenen Weg zum Tee- und Bierhaus, um sich dort am Ofen aufzuwärmen und mit Sallys Spezialitäten zu stärken: heißem Bierpunsch und ofenfrischem, würzigem Gerstenkuchen. Andere, die es gleich nach Hause zog, machten sich auf den langen, beschwerlichen Weg den Hügel hinauf, an der Müllkippe Schönblick vorbei zum Südtor, das stets bis Mitternacht geöffnet war.
    Lucy Gringe war wenig begeistert von der Aussicht, nun den Hügel zum Palast hinaufzustapfen, zumal sie wusste, dass die Fähre dort wahrscheinlich
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