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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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danach fragen müssen; sie hüllte sich vier, fünf Kilometer weit in Schweigen. Er verstand es, das neue Auto war weg, aber gab es da nicht eine Versicherung? Er hatte sich um solche Dinge nicht gekümmert, das machte alles Dr. Wohlgenannt, sein Steuerberater, kaum anzunehmen, dass Frau Mießgang einen Steuerberater hatte. Danach zu fragen schien nicht opportun, es kam nun, dachte er, darauf an, sie nicht aufs Thema Autototalverlust zu bringen, aber so steinernes Schweigen die ganze Fahrt lang hielt er nicht aus. Sie schien das zu begreifen und antwortete auf seine Fragen, nicht gerade einsilbig, aber kaum mehr als zwei- bis dreisilbig. Es wurde klar, dass der Verlust des Wagens eine Katastrophe für sie bedeutete; die Kirche mochte reich sein, ihre Angestellten waren es nicht. Sie hatte das Auto erst vor vier Wochen gekauft. Frau Mießgang, erfuhr er, arbeitete als Haushälterin beim Pfarrer Moser. Pfarrer Moser galt als Original, jeder im Land kannte ihn, weil er in den Leserbriefspalten der größten lokalen Tageszeitung extrem konservative Einsichtenverbreitete. Semmler interessierte der reaktionäre Pfarrer nicht, aber mit dem Thema kamen sie endlich von dem abgesoffenen Auto weg. Wie er denn so sei, wollte er wissen, dieser Pfarrer Moser, als Chef und Mensch. Nett, sagte sie, privat sei er sehr nett, ein guter Mensch. Nun, das war zu erwarten gewesen, jemand wie Frau Mießgang würde keine Details über ihren Chef erzählen, pikante schon gar nicht. Als sie an der Unfallstelle vorbeifuhren, bat sie ihn, anzuhalten. Er unterdrückte mit knapper Not ein Seufzen.
    »Ich möchte nur noch einmal ...«, sagte sie; was sie noch einmal wollte, erfuhr er nicht, nickte, murmelte »aber natürlich«, als habe er alles verstanden, und ließ sie aussteigen. Seine Anwesenheit war nicht erforderlich. Abschied vom Auto, ein bisschen sehr diesseitig für eine kirchliche Angestellte, kaum anzunehmen, dass Pfarrer Moser so eine Anhänglichkeit an einen profanen Gegenstand billigen würde.
    Frau Mießgang stand auf der anderen Straßenseite an der Abbruchkante. Die Seitentür hatte sie offen gelassen. Dann holte sie mit ihrer Handtasche weit aus und warf sie nach vorn in die brodelnde Ach. Einen Augenblick fürchtete er, sie werde gleich hinterher springen, aber sie kehrte auf dem Absatz um und kam zum Auto zurück. Er konnte nicht so tun, als hätte er nichts gesehen. Er ärgerte sich, wie immer bei irrationalem Verhalten – noch mehr ärgerte es ihn, dass er nun darauf eingehen musste.
    »Was war das jetzt?«, fragte er. Der scharfe Ton schien sie nicht zu stören.
    »Ein Opfer«, sagte sie, »einfach nur ein Opfer.«
    »Und wofür – ist dieses Opfer?« Sie blickte ihn von der Seite an.
    »Für mein Leben!« Die Frage schien sie zu überraschen.
    »Für Ihr Leben? Sie opfern die Handtasche für Ihr Leben?«
    »Ja, es ist ein bisschen spät, ich weiß. Ich hätte es gleich machen sollen ...«
    Er fuhr los. Nach einer Weile sagte er: »Wann gleich?«
    »Als Sie mich grade rausgezogen hatten. Natürlich: opfern tut man eigentlich vorher, das ist ja klar, aber in besonderen Fällen geht es auch kurz danach – ich meine, wenn Ihnen vom Universum etwas Besonderes erwiesen wurde, was Sie vorher nicht wissen konnten, dann haben Sie ja dafür vorher auch nicht opfern können, verstehen Sie?«
    »Nein.«
    »Ganz einfach: Dieser Unfall, davon konnte ich ja nichts wissen, bevor er passiert war, oder? Und als er passiert war blieb zum Opfern keine Zeit, ich hatte einen Schock, dann sind ja auch schon Sie gekommen und haben mich gerettet – in solchen Fällen kann man auch nachträglich opfern – um dem Universum seine Dankbarkeit zu erweisen«, fügte sie nach kurzer Pause hinzu.
    »Aha«, sagte er. »Sie opfern also dem Universum.«
    »Ja, natürlich, etwas anderes hätte ja auch keinen Zweck, oder?«
    »Verzeihen Sie, vielleicht verstehe ich da etwas nicht richtig, ich war auch schon länger nicht mehr in der Kirche – ›Universum‹ – damit meinen Sie doch Gott?«
    »Nein, ich meine das Universum. Gott ist bloß so eine ... so eine Vorstellung. Aber es kann das jeder nennen, wie er will.«
    Eine Zeitlang wurde geschwiegen, sie schien nicht geneigt, die Sache zu vertiefen, und er wusste nicht, wie eine Fortsetzung des abseitigen Themas ausschauen sollte. EineEsoterikkiste, damit hatte er noch nie etwas anfangen können. Langweilig. Immerhin war sie keine von diesen mittelalten Frauen, die an fremden Türen läuten und sich mit
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