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Semmlers Deal

Semmlers Deal

Titel: Semmlers Deal
Autoren: Christian Mähr
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Semmler war sagenhaft geschickt beim Schwindeln ... Ursula durfte er diese Dinge, an die er sich noch genau erinnern konnte, nicht erzählen, sie rollte sonst mit den Augen, ihre Stimme wurde schrill. Das sei krankhaft, meinte sie.
    Er stieg ein, wendete den Wagen und fuhr talauswärts. Er wollte vermeiden, Semmler zu begegnen. Der würde zurückfahren und seinen Schlüssel suchen. Nein, er war nicht fixiert auf Semmler. Blödsinn. Die Sache heute durfte er Ursula auch nicht erzählen, um Gottes Willen, sie würde behaupten,er sei Semmler nachgefahren, so weit sei es schon, »Du verfolgst den Mann«, hatte sie ihm neulich vorgeworfen, »das ist doch nicht normal, du bist ein – wie heißen die – diese Psychopathen, die dann ...«
    »Stalker ...«
    »Ja, eben!«
    Ja, eben! Was, bitte, sollte das heißen? Er hatte natürlich vermieden, diese Frage zu stellen, aus der sich ein hässlicher, lang gezogener Streit entwickelt hätte; das war es nicht wert.
    Natürlich war er Semmler nicht nachgefahren. Blödsinn. So konnte man das nicht nennen. Er hatte sich das Hochwasser aus der Nähe anschauen wollen. Und Semmler auch. Er hatte nicht an Semmler gedacht, bis der keine fünfzig Meter vor ihm auftauchte, wo eigentlich? Das hatte er vergessen. Als er den silbergrauen Jaguar sah, war ihm Semmler eingefallen, wie auch nicht, sieh an, Semmler in seinem Jaguar, er kannte das Auto ... sie fuhren dieselbe Strecke in den Bregenzer Wald, sollte er jetzt einen Riesenumweg über Langen machen, nur um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, er verfolge Semmler? Wenn sie dabei gewesen wäre, Ursula, hätte er die Strecke über Bregenz und Langen genommen, aber sie hatte ja nicht mitgewollt, ihn einen Katastrophentouristen genannt. Er war allein gefahren, über Schwarzenberg, das war der kürzeste Weg, alle, die aus der Stadt in den Bregenzer Wald wollten, nahmen diese Strecke, Semmler natürlich auch.
    Und hätte er beim Unfallort vorbeirasen sollen? Er hatte in sicherem Abstand vom Abbruchrand angehalten, und hatte ... also, nachgeschaut, ob Semmler bei seiner Rettungsaktion vielleicht Hilfe brauchte. Hatte er nicht, die Rettungsaktion war schon im Gange, als Koslowski aus demAuto stieg und dann – dann war es ihm unangemessen vorgekommen, hinzulaufen und Hilfe anzubieten, die offensichtlich nicht benötigt wurde. Semmler kam mit der Frau allein zurecht.
    Er würde heimfahren und Semmler anrufen. Es hatte keinen Zweck, zu warten, dass Semmler ihn anrief. Koslowski war nun überzeugt, dass ihn sein Schulfreund beim Vorbeifahren nicht erkannt hatte. Aber er, Koslowski, hatte diesen Gesichtsausdruck an ihm gesehen, durch die Scheibe, diesen Ausdruck, den er immer in Gegenwart von Frauen hatte; als ob er nicht ganz bei sich sei, so etwas Verhaltenes – die Frau war Durchschnitt, Koslowski hatte sie nicht weiter beachtet, aber bei Semmler kam es ja auch nicht darauf an, ob die Frau jung oder schön war, dass es darauf nicht ankäme, hatte er immer erklärt, sei das ganze Geheimnis. Semmler hatte unheimlich Schlag bei Frauen. Das störte Koslowski nicht, das war eine Naturbegabung; Semmler hatte nie geheiratet und spielte die Rolle des begehrten Junggesellen, von Playboy konnte man nicht reden, das wäre sogar den Betroffenen lächerlich vorgekommen, es war alles provinziell, drei Stufen heruntergefahren; in den Gratiskäseblättern standen immer dieselben fünfzig Hanseln, die mit ihren jeweils aktuellen Greteln bei zahlreichen events die society darzustellen versuchten.
    Er würde Semmler anrufen, wenn er zu Hause war.
     
    S ie sind dann doch nicht zur Schwester gefahren. Bei der Gendarmerie in Egg riet man dringend von einer Weiterfahrt ab. Gisela – so hieß die Gerettete – rief die Schwester in Mellau an; dort war alles in Ordnung und alle wohlauf. DerVerlust des Autos (Toyota Aygo) wurde gemeldet und protokolliert. Totalverlust. Es schien den Gendarmen nahezugehen. Sie sahen gestresst und übermüdet aus. Semmler bot an, die Frau nach Hause zu fahren. Sie hieß Gisela Mießgang. (Sie hatten sich auf der Fahrt zur Polizei bekannt gemacht.) Frau Mießgang sträubte sich erst eine kleine Weile, wie es der hiesige Minimalanstand erforderte; es wäre unhöflich gewesen, ein Anerbieten gleich beim ersten Mal anzunehmen (»Das ist doch nicht nötig«, »Machen Sie sich keine Umstände«, usw.), aber beim zweiten Mal willigte sie ein.
    Frau Mießgang war bei der katholischen Kirche angestellt, erfuhr Semmler auf der Rückfahrt. Er hatte
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