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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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sagte der Makler, »vor zehn Minuten habe ich das Objekt verkauft.«
    Cora war entsetzt. »Wieso? An wen? Warum?« stotterte sie.
    Sie erfuhr, daß eine Amerikanerin den Preis aus eigener Initiative um fünf Prozent erhöht habe und damit sofort den Zuschlag bekam, ohne daß die anderen Bewerber ein zweites Mal gefragt wurden.
    »Da kann man nichts machen«, sagte ich erleichtert.
    Aber Cora war so schlechter Laune wie schon lange nicht mehr. »Ihr beide seid schuld!« brüllte sie. »Der Makler hatte gesagt, daß man nicht lange fackeln darf, aber ihr habt mich völlig verunsichert! Du mit deinem ewigen Wiederverkaufen -da verliert man doch in jedem Fall einen Haufen Kohle! Und Emilia mit ihren absurden Bedenken, daß es auf dem Markt von Castellina nicht ebenso frische Muscheln wie in Florenz gibt! Das Blödeste daran ist, daß mein Haus erst seit zehn Minuten weg ist! Warum hast du mich nicht früher geweckt, Emilia! Jetzt hat sich der Traum meines Lebens in Luft aufgelöst!«
    Die so bitter enttäuschte Cora tat mir zwar leid, aber mußte ihr einfach alles in den Schoß fallen? Ich für meinen Teil durfte von dergleichen noch nicht einmal träumen. Ein Landsitz in der Toskana, das waren Luftschlösser für mich.
    Seit ich meinen Job als deutschsprachige Stadtführerin verloren hatte, verdiente ich nicht einmal mehr ein Taschengeld.
    Cora tröstete sich mit dem Besuch einer teuren Boutique, wo sie auch uns in einem gigantischen Kaufrausch von Kopf bis Fuß neu einkleidete. Und mitten beim Anprobieren kam ihr die Idee, die Bildhauerei zu erlernen. Ausgerechnet ich animierte sie dazu, als ich in einem hautengen Kleid auf einem Hocker stand und die Schneiderin den Saum absteckte.
    Kaum waren wir vom Einkauf zurück, als schon wieder ein Sommergewitter heraufzog. Emilia stellte Bela vor sich auf das Fensterbrett, und sie beobachteten gemeinsam, wie der Regen auf den Terrassenboden prasselte. Mein Sohn entdeckte ein großes Spinnennetz, das von den Tropfen wie mit unzähligen Perlchen bestickt schien.
    »Selbst die schönsten Klamotten können mit der Natur nicht mithalten«, stellte Cora wehmütig fest.
    Ich hatte das Haus in der Toskana bereits verschmerzt und ahnte nicht, daß meine Freundin eine Niederlage niemals wegsteckte.
    Cora begann damit, probeweise kleine Skulpturen aus Ton zu modellieren, später wollte sie sich an Marmor heranwagen.
    Aber sie war unruhig und gereizt, so daß alles mißlang.
    Obwohl wir mindestens einmal in der Woche eine Tour ans Meer machten oder in der Nachbarschaft eine Ausstellung besuchten, lief sie mit Leichenbittermiene herum. Bis eines Tages die Rede auf die alte Heimat kam.
    Ich hatte sofort ein ungutes Gefühl. Angeblich ging es Coras Großmutter schlecht; sie habe eine beginnende Lungenentzündung, die für eine über Achtzigjährige den Tod bedeuten könnte. Und Cora verstieg sich zu der Behauptung: »Außer dir ist sie der einzige Mensch, den ich...«, längere Pause, »... liebe.« Wir müßten sofort losfahren, verlangte sie, vielleicht sei dieser Besuch der letzte.
    Wieso wir? fragte ich, es gehe einzig und allein um ihre Großmutter, denn ich hatte Gott sei Dank keine eigenen Verwandten mehr.
    »Ich möchte ihr den letzten Wunsch erfüllen«, sagte Cora.
    Halb neugierig, halb mißtrauisch hörte ich mir ihre Überlegungen an.
    »Meine Oma hat drei Kinder und sechs Enkel. Also denk mal nach, Maja, was man sich auf seine alten Tage sehnlich wünscht? Urenkel natürlich.«
    Ich war empört. Wollte Cora einer Greisin zuliebe sämtliche Prinzipien über Bord werfen und sich mal eben schwängern lassen? Sollte sie Dino einzig für diesen Zweck benutzt haben?
    Doch Cora erriet meine Gedanken und schüttelte mißbilligend den Kopf: »Da liegst du voll daneben.«
    Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Bela sollte als Urenkel herhalten, mein kleiner Sohn einer Sterbenden untergejubelt werden wie weiland Jakob dem Isaak!
    »Wie willst du ihr weismachen, daß du einen vierjährigen Jungen hast?« fragte ich ungehalten. »Sie ist doch noch bei Trost - oder?«
    Cora war der Meinung, unterwegs werde uns schon noch eine plausible Begründung einfallen. Mir graute vor der langen Autofahrt. Bela hatte zwar noch nie von dieser Urgroßmutter gehört, aber die Welt war in seinem Alter voller Überraschungen; er hörte sich den Grund für unsere Reise ohne trotzige Einwände an. »Die Uroma wohnt bei Papa«, meinte er hoffnungsvoll, und mir fiel reichlich spät ein, daß er ja
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