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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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barone sehr geistreich, belesen, kunstinteressiert, dabei aber nicht unsportlich.
    Täglich schwamm er morgens und abends seine Bahnen.
    Gerade deswegen blieb sein plötzlicher Tod für alle, die ihn kannten, ein Rätsel. Eines Morgens hatte Dinos Großvater Umberto die Abdeckung des Schwimmbads entfernt, um mit einem Spezialstaubsauger den Grund zu reinigen.
    Im Wasser trieb der tote Engländer.
    »Er kann sich aber nicht eigenhändig zugedeckelt haben «, sagte ich sofort, »es ist doch unmöglich, vom Wasser aus den Schlüssel zu bedienen!«
    Dino grinste. »Kluges Kind. Hat die Polizei auch schon festgestellt. Leider wissen wir im Dorf nicht genau Bescheid, was der Commissario aus Siena bis jetzt herausgefunden hat, denn die Presse wird nicht informiert. Die Polizisten haben jedenfalls den ganzen Medizinschrank ausgeräumt und den Inhalt einkassiert; nun wird gemunkelt, daß man bei der Obduktion Spuren eines Schlafmittels gefunden habe. Es könnte zum Beispiel so zugegangen sein, daß il barone unter Sedativa stand und beim Schwimmen bewußtlos wurde. Eine zweite Person konnte im Dunkeln gar nicht bemerken, daß da ein hilfloser Mensch im Wasser lag, und hat nichtsahnend die Automatik bedient. Deswegen ist vorläufig von einem Unfall die Rede.«
    »Natürlich war es Mord«, sagte Cora bestimmt.
    Dino nickte. »Viele hier im Ort glauben das. Vor allem zerbricht man sich den Kopf, wer die zweite Person gewesen sein könnte. Verdächtig ist, daß der Erbe - ein Neffe das Anwesen so eilig verkaufen will. Er selbst hat allerdings ein wasserdichtes Alibi. Andererseits liegt über einem Mörderhaus ja immer ein Fluch, man kann verstehen, daß er es nicht behalten möchte!«
    »Ein Fluch lastet natürlich zentnerschwer«, sagte Cora geistesgegenwärtig, »und der Bann kann nur gebrochen werden, wenn zwei nordische Jungfrauen einen Gegenzauber betreiben.«
    Dino meinte lachend, zwei Hexen täten es auch, und zeigte großes Interesse daran, woher Cora das Geld habe, um ein derartiges Projekt auch nur in Erwägung zu ziehen.
    »Das kann ich dir erklären«, sagte sie, »das Geheimnis liegt in absoluter Disziplin! Jeden Morgen früh aus den Federn, fleißig ackern, no sex, no drugs und niemals vertrocknetes Brot oder eine Büroklammer wegwerfen! Eh du dich versiehst, bist du Millionär. Und zwar nicht bloß in Lire!«
    Cora ließ ihren habgierigen Blick in die Ferne schweifen.
    »Wo verläuft eigentlich die Grenze zum Nachbargrundstück?«
    Wir wurden belehrt, daß zwei Zypressen an jeder Ecke traditionsgemäß das Ende einer Fattoria, also eines Weingutes oder Bauernhofes, markieren.
    Cora machte sich eine Skizze und kratzte mit dem Bleistift ausgiebig ihr von Mücken zerstochenes Decollete, wobei Dino sie mit lüsternen Blicken beobachtete.
    Ich ärgerte Cora mit einem Sprichwort, das ich von Emilia kannte: »Wer mit Hunden zu Bett geht, steht mit Flöhen auf.«
    Als sie mir einen zornigen Blick zuwarf, ließ ich sie mit ihrem Köter allein und begab mich ins Haus, um die Bibliothek genauer zu inspizieren.
    Da gab es italienische Kunstbände, englische Klassiker, aber auch Kriminalromane und eine große CD-Sammlung. Monteverdis Madrigale waren in verschiedenen Einspielungen vorhanden. Im Stereogerät lag noch eine Scheibe, ich drückte auf play. Mit Wehmut lauschte ich der anmutigen Renaissancemusik und zwei wunderbaren Stimmen, die in melismatischen Läufen sowohl den geflügelten Pfeil Amors als auch den Flug eines Vogels besangen: Addio, Florida, bella.
    Der deutschen Übersetzung entnahm ich, daß es sich um den bewegenden Abschiedsgesang zweier Liebender bei Sonnenaufgang handelte.
    Vielleicht waren mir durch Coras Affäre meine persönlichen Defizite bewußter geworden, denn plötzlich brach ich in Tränen aus. Vor fünf Jahren hatte ich Jonas, den Schwarzwälder Naturburschen und Vater meines Kindes, während der Sommerferien in der Toskana kennengelernt womöglich war es auch die Umgebung, die mich auf einmal so sentimental stimmte. Zweifellos hatte ich ihn geliebt, jedenfalls so, wie ich mit meinen siebzehn Jahren lieben konnte. Es war traurig, daß unsere Ehe an den Tücken des Alltags gescheitert war; wie sehr sehnte ich mich nach einer Liebkosung.
    Cora suchte, fand und umarmte mich. »Was ist? Du wolltest meinen schönen Cherub doch gar nicht haben - oder magst du Flöhe?«
    Ich schüttelte nur den Kopf.
    Später beschlossen wir, bis Montag zu bleiben. Cora wollte direkt weiter nach Siena, um sich über alle
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