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Selige Witwen

Selige Witwen

Titel: Selige Witwen
Autoren: Ingrid Noll
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Figur verglichen wurde?
    Es war und ist nichts Neues, daß die Männer mich kaum beachten, wenn sie an meiner Seite auftaucht. Wie kann mein hellbraunes glattes Haar mit ihrer roten Löwenmähne konkurrieren? Meine grauen Augen mit ihren grünen? Wer es gut mit mir meint, nennt meine Gestalt »klein, aber fein«, während Cora mit Attributen wie Traumfrau oder Rasseweib bedacht wird. Dazu kommt, daß sie stets in aufregenden Farben schwelgt: rosa-orange-gelb oder blaugrünschwarz.
    Mein Stil wird von ihr als Eisbecher-Kombination verspottet, denn ich liebe Karamel, Vänille und Zimt. Von weitem werde ich wahrscheinlich völlig übersehen.
    Irgendwann hörte ich Dinos Wage n über die Kieselsteine fahren. Cora bequemte sich aus dem Bett, machte vor meinem Lager ein paar possierliche Dehn- und Streckübungen und fragte: »Sauer?«
    »Hat dein Romeo schlappgemacht?« konterte ich.
    »Er will uns ein anständiges Frühstück zubereiten. Hat er jedenfalls versprochen«, behauptete Cora.
    Sie sollte recht behalten. Nach etwa einer Stunde röstete uns Dino ungesalzenes toskanisches Brot, das er in Öl tauchte und mit Knoblauch einrieb, und machte einen passablen Espresso. Aus der Küche seiner Mutter hatte er Pecorino mitgebracht, Tomaten und Basilikum pflückte er im Garten.
    »Seht mal, was ich im Bücherschrank gefunden habe«, rief Cora aus der Bibliothek, während ich wie eine gute Hausfrau die drei schmutzigen Becher von der Terrasse in die Küche trug, »den Decamerone! Giovanni Boccaccio hat bereits vor 650 Jahren die gleiche Begeisterung für die Schönheit dieser Landschaft empfunden wie wir.«
    Aus einem ledergebundenen, mit Goldschnitt versehenen Buch las Cora uns eine ganze Weile lang vor; sie begann mit der Pestepidemie in Florenz, vor der eine Gruppe junger Adeliger auf ein idyllisches Landgut floh. »Der Garten machte den sieben Mädchen und ihren Kavalieren so viel Freude, daß sie sich einmütig gestanden, sie wüßten sich nicht vorzustellen, daß ein irdisches Paradies, wenn das möglich wäre, anders aussehen könne als dieser Garten, und sie seien außerstande, eine Schönheit zu erdenken, die ihm hinzugefügt werden könnte.«
    Wir nickten anerkennend. Cora zitierte: »Die Villa im Decamerone lag ein wenig über die Ebene erhaben, auf einem kleinen Hügel. Boccaccio könnte doch genau dieses Anwesen gemeint haben...«
    Dino und ich bezweifelten das. In der Toskana waren Häuser auf einem kleinen Hügel fast die Regel.
    Schließlich besichtigten wir unter Dinos Führung das gesamte Anwesen. Es gab drei überdachte Wagenstellplätze, drei Schlafzimmer mit drei Bädern, ein separates Gästehaus - »für Emilia und Mario« bestimmte Cora - und eine vorzüglich ausgerüstete Küche. Am besten gefiel uns der Wintergarten, der, ebenso wie die Terrasse, den Blick auf weites Land freigab. Im Anschluß an den Rundgang ließen wir uns in die behaglichen Korbsessel fallen.
    »Wieso hat man gerade dir die Schlüssel anvertraut?«
    fragte ich Dino.
    Sein Großvater sei der Gärtner dieses Anwesens, erwiderte er, und habe seinem einzigen Enkel den lukrativen Job verschafft, regelmäßig die Technik zu überwachen. Dino mußte sich um das Tor kümmern, er war auch für die Wartung des Schwimmbads mit Massagedüse, Gegenschwimmanlage und automatischer Abdeckung verantwortlich. Stolz zeigte er uns einen Fernseher mit einer Unzahl von Programmen.
    Der Engländer habe sich, sein Faible für aufwendige Elektronik einmal ausgenommen, nur durch wenig nennenswerte Spleens ausgezeichnet. »Einmal war er ganz verzweifelt über seinen defekten Computer, denn er verbrachte Stunden mit seinem Lieblingsspielzeug. Ich sagte gleich, daß ich zwar elektrische Leitungen legen könne, aber von Rechnern keine Ahnung hätte. Ein Spezialist kam extra aus Mailand, dabei gibt es auch hier in der Nähe genug Computerläden. Nach dem Tod des Engländers hat der Commissario den PC leider beschlagnahmt; vielleicht glaubt er wichtige Hinweise auf der Festplatte oder in der E-Mail-Korrespondenz zu finden«, sagte Dino.
    »Was meinst du mit Hinweisen? Wie alt war der Engländer?
    Hatte er Familie? Und vor allem - wie ist er überhaupt umgekommen?« fragte Cora.
    Ein Mann Anfang Fünfzig, war die Antwort, ohne Familie, aber mit einem Lebenspartner, der ihn gelegentlich hier in Italien besuchte.
    Im Dorf nannte man den Engländer il barone. Er war stets großzügig, was die Bezahlung der Angestellten und Trinkgelder betraf. Darüber hinaus war il
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