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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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dass er für sie ein Chalet auf der Maierl-Alm gebucht hatte. Er wollte sie überraschen. Es war ein magischer Ort, er strahlte Zuversicht aus, die Mauern atmeten, die Wände waren mit Wolken verputzt, die Steine glühten wie nach einem Sonnenuntergang, das Herz schlug aus der Brust hinaus zum Horizont, zum Wilden Kaiser, zum Großen Retten. Alles war wie im goldenen Schnitt erbaut, dachte Christoph, war so, wie er sich ein Haus in den Bergen wünschte, erträumte, gebaute Sehnsucht, Schutz und Sinnlichkeit, Einsamkeit und Erregung, offener Kamin und offene Augen, Hände, Wärme und Wimpernschläge, ein Winkel, wie vom Herrgott geschaffen, Geschichte und Geschichten, im Schatten Kitzbühels, aber es in den Schatten stellend.
    Dort hatte die Zeit Zeit, zeitlos zu werden. Natürlich war es Design, natürlich wie aus einer Zeitschrift, natürlich tauchten aus dem Nichts die Münchner auf, die Wiener, all die Unvermeidlichen, die mit ihren Champagnerkübeln den Platz markierten wie Hunde ihr Revier, die ihre Geldbeutel wie Beine hoben. Aber sie waren nicht in den Chalets und verschwanden abends, oder man saß so, dass sie im Rücken lärmten und nicht vor den Augen. Sie verdarben einem nicht den Geschmack, nicht die helle Freude, die von Mal zu Mal heller wurde, wenn Christoph dort war, wenn er allein war und sonst niemand außer ihm, wenn er in den Kamin der Gaststube schaute und das Feuer zu einem Lauffeuer seiner Sehnsucht wurde, hier mit Yvonne und Igor zu sein, Burger zu essen, sich umarmend Wein zu trinken und die Natur einzusaugen, die Berge, die hier nicht bedrohlich waren, sondern mit einem sprachen, die ein Lächeln hatten und ihre Augen auf einen warfen.
    Christoph liebte Kitzbühel. Jeder, der ein Auge für die Schönheit und ein Herz hat, das bis zu den Gipfeln hinauf schlagen will und schlägt, der ein Herz hat, das im Schnee brennt, musste Kitzbühel lieben. Mit und trotz und wegen allem, was dazugehörte, dachte Christoph jetzt. Und er liebte ganz besonders diesen Ort hier. Es war ein Wunder, wie er sich verändert hatte, wie er, fast eine Totgeburt, zum schönsten Leben und Lebendigkeit erwachte, nachdem der neue Geschäftsführer alles durchglühte. Wo, wenn nicht hier, dachte Christoph, wäre Versöhnung möglich. Sie würden essen, Igor würde im Schwimmbad tollen, im eigenen Whirlpool, sie wären zusammen in ihrer eigenen Sauna, da würden sie auf dem Balkon stehen, hinaussehen, sich unendlich fühlen, und während der Kleine in seinem karierten Bett schlief, würden sie miteinander schlafen und sich so lieben, dass es alles und alle anderen vergessen machte. Am Sonntag würden sie ganz früh auf die Piste gehen und dann zum Café del Maierl zurückkehren, und sie würden Party machen, tanzen bis zum Sonnenuntergang in ihrem Schnee-Ibiza, und alles würde wieder gut werden und gut sein, sie wären die Letzten, die blieben, und erst Montag früh zurückfahren oder einfach noch eine Nacht bleiben und niemandem etwas sagen und etwas erklären.
    Christoph träumte im Schnee vor sich hin, und seine Träume überwanden die Kälte, die Angst, den Wind, der ihn wachschlagen wollte. Ja, es war alles anders gekommen. Warum nur? Warum hatten sie ihn allein gelassen, allein gelassen wie jemanden, der sich umbringen will, dachte sich Christoph. Wussten sie, dass ich den Weg zum zweiten Zauberwald kannte? Dass ich Igor einmal gefolgt war? Ahnten sie es? Hatten sie mir eine Falle gestellt? Woher kam das Blut? Der Blutstropfen auf seinem Unterhemd, den er jetzt sah, als er den Schal um seinen Hals löste und den Reißverschluss des Anoraks öffnete, um Luft zu bekommen, die kälteste Luft.

21
    Ödön holte seine Ski aus dem Versteck, setzte seinen Helm auf und verließ die Kapelle. Er hatte an den Stausee gedacht. An das Loch in dem See. Das Loch im Eis. Wieder einmal an Hansi Hinterseer, wie er barfuß über das Eis geht und die Arme ausbreitet, ihm entgegenläuft und einbricht, und er spürt, wie der Fuß seinen Helm berührt und ihn nach unten drückt, und er weitergeht über das Eis und er unter dem Wasser bleibt, ein großer schwarzer Fisch.
    Ödön hoffte, seine Albträume würden jetzt aufhören, er würde endlich Ruhe finden, es würde ihn nicht länger verfolgen, er könnte einen Schlussstrich ziehen. Er hatte gedacht, er bringt sich um. Er bringt es zu Ende, und dann bringt er sich zu Ende und die Geschichte. Das tote Kind. Kind, du bist tot. Er konnte Kind nicht mehr ohne Tod denken, das Wort nicht ohne
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