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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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sie zustürzen würde, und sie alle, die Stadt, das Land, die Erde begraben würde, bis nichts bliebe als ein weißer Planet, der wie ein Schneeball durch die Galaxie flog.
    Schatterer saß in einem Lounge-Chair und kam sich fehl am Platz vor, er wäre lieber dort draußen im Schnee gewesen, hätte sich verausgabt bei der Suche, Schnee gefressen, Sturm gefressen, die Kälte gefressen. Er hatte Angst um Bonnie, fürchtete wie ein Bruder um sie, ein Vater, ein Liebender. Sie war so verletzbar gewesen, als sie aufgebrochen war. Unvernünftig wie immer, aber anders, ohne die Aura der Unverwundbarkeit, ohne eine Armada von Schutzengeln um sie.
    »Bonnie, ruf mich sofort zurück, wenn du das abhörst. Huller ist aus dem Koma aufgewacht. Der Kollege aus Innsbruck hat mich informiert. Ich wäre am liebsten selbst hin, kann aber hier nicht weg. Der Arzt hat jede Befragung verboten. Sein Leben hängt noch immer an einem seidenen Faden. Ich habe ihm gesagt, er müsse insistieren, es ginge um das Leben eines Kindes. Er hat nicht richtig begriffen. Ich habe dann selbst mit dem Arzt gesprochen. Ich habe ihn überredet. Und nun berichte ich dir am Telefon, ohne dass du etwas dazu sagen kannst.
    Der Kollege hat mit Huller gesprochen. Hirnschäden sind nicht auszuschließen, sogar wahrscheinlich. Huller konnte sich, so sagt der Kollege, ich kann nur weitergeben, was er sagt, ich konnte ja schlecht mit Huller selbst reden am Telefon, also Huller wiederholt nur, er sähe nur Schnee, es schneit, Schnee. Aber vor dem Fenster schneite es ja. Der Kollege hat ihn versucht damit zu animieren, dass er Bestzeit gefahren sei, dass er die Streif gewonnen habe, die Streif. Die Streif müsste doch ein Leuchten in seine Augen zurückbringen, dachte er sich, eine Reaktion, selbst wenn er log, müsste die Streif doch irgendetwas in ihm auslösen. Aber da war nichts, behauptet der Kollege, so sehr er auch insistiert hat bis zum Protest des Arztes. Der Arzt habe ihm sogar auf seine Intervention hin gedroht, dem Huller, denn auch auf Kind, auf Junge, hat er nicht reagiert, nur immer Schnee gesagt, und dann etwas, das sich wie Wald anhörte, meinte der Kollege, denn dann wäre er weggesackt, überanstrengt, der Arzt hätte alle weiteren Fragen verboten. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass er das Gedächtnis verloren hätte, allerdings auch möglich, dass er es wieder zurückgewänne, aber man könne nicht sagen, wann und wie und ob vollständig oder mit Langzeitschäden, einer geistigen Behinderung. Schwere Schädelverletzungen, ein Wunder, dass er es überlebt hätte. Aber, das ist die gute Nachricht, sie haben sein Handy gefunden. Sie nehmen es auseinander, vielleicht kann man rekonstruieren, wo er war, und so seine letzten Aufenthaltsorte lokalisieren und dort suchen. Bonnie, ich weiß, du glaubst, er war es, aber ich sag dir, er ist unschuldig, er ist eine arme Sau, er hat seine Kinder geliebt und hätte nie und nimmer einem weh getan oder ein Kind angefasst, nie. Ich habe etwas, so weit es von hier aus ging, über den Vater des Jungen recherchiert, es gab da mal eine Schlägerei im Take Five, er muss gewalttätig geworden sein, cholerisch, irgendeine Eifersuchtsszene angeblich. Ich bleibe da dran. Bonnie, hörst du, bitte ruf mich an, ja, es ist mir wichtig.«
    Er legte auf. Er hatte ihr verschwiegen, dass sie Druck auf ihn machten. Morgen der Slalom. Der Sturm beruhigte sich, wenn sie die Nacht durcharbeiteten, wäre es vielleicht zu schaffen. Die Presse wäre bis Sonntagabend da.
    Schatterer durchzuckte ein Gedanke, den er gleich wieder als absurd verdrängte. Was, wenn sein Innsbrucker Kollege ihn angelogen hätte, weil man unbedingt einen schuldigen Huller benötigte, der ihnen eh schon den Tag versaut und sie womöglich Millionen gekostet hatte. Unfug, disziplinierte sich Schatterer, jetzt fang ich auch schon mit Bonnies Verschwörungstheorien an. Vermisse ich sie so sehr?

19
    »Ich fahre schon den ganzen Tag über Lift, Herr Pater«, fuhr Ödön fort, »dort, wo man der Streif ausweicht, wo die Skikurse stattfinden, wo sie bei jedem Wetter fahren, selbst wenn es regnet, wenn die kleinen Monster eingepackt sind wie kleine Markenmonster, wenn du kein Gesicht, keine Augen, kein Stück Haut, nur grelle Farben, Fellaufsätze siehst, die Kleinen, die wie die Kopien der Großen gekleidet sind, Angeberadel, tausend Euro am Körper, tausend Euro, aus denen sie in nicht einmal einem Jahr hinauswachsen in die nächsten tausend Euro, oder aber die Kids,
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