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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
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ein paar Minuten, kein Hallo zu meinem Vater, ich rang nach Luft, pumpte, jetzt spürte ich das Stechen tief in der Schulter. Mutter, warum ist dein Zimmer abgeschlossen? Was hast du in meinem Zimmer zu suchen? Lachen, mein Vater schlug sich auf die Schenkel, und ich hörte das Klirren des Schlüssels auf der Glasplatte des Wohnzimmertisches, du verziehst den Jungen, der bekommt noch einen Ödipuskomplex, er schaut mich an, als wollte er mich umbringen, er schüttelte sich vor Lachen, ist dir das noch nicht aufgefallen, dass dein Sohn mit dir schlafen möchte?
    Ich erstarrte, ich stand zwischen Vater und Mutter, mit hängender Schulter, Tränen in den Augen, aus Angst, aus Wut, aus Trauer, Vater machte mit seinem linken Daumen und Zeigefinger einen Kreis und schlug mit der rechten Hand darauf, aber er blickte mich nicht an dabei, er schaute nur nach vorne auf die Serien, jeder Schlag der flachen rechten Hand auf den Kreis in seiner linken schlug mir ins Gesicht, er ohrfeigte mich, Muttersöhnchen, will seine Mutter flachlegen, das Kind, und Papa dafür das Messer in den Rücken rammen, Mutter wusch den Salat, das Wasser lief, was hatte sie gehört, hatte sie gehört, was er gesagt hatte, hatte sie es überhört, hörte sie ihm überhaupt noch zu, ins eine Ohr rein, ins andere raus, Schatz, deckst du den Tisch, Mutterrammler, ich bin gleich fertig, schalte den Fernseher aus, Mutter trank nicht mehr, hatte sie je getrunken, nimm die Tabletten, aber verschone mich mit deinem Therapeuten, hatte Vater sie angeschrien, hatte ich gehört, durch die Tür, durch ihre Schlafzimmertür, und dann das Bett, hatte er sie geschlagen, auf das Bett geworfen, schlug er sie, er schlug sie doch nicht, sie schrie, Mutter schrie, ja, sie schrie, aber es waren andere Schreie plötzlich, Lustschreie, das Kind, das Kind wird es hören, deck auch die Löffel ein, ich habe uns Eis mitgebracht. Vater hatte den Fernseher ausgeschaltet, kam zum Esstisch, schaute mich nicht an, aber ich hörte weiter das Lachen, hörte das Lachen aus seinen Lachfalten, aus seinen geschlossenen Lippen heraus hörte ich es lachen, er schlug mir auf die Schulter, du wirst doch einen Spaß verstehen, mein Junge, du bist doch fast ein Mann, wie kannst du ein Mann werden, wenn du deinen Vater nicht erschlagen willst. Ich bin dein Feind, verstehst du, ich liebe dich, mein Sohn, ich will dir nur helfen, da draußen tobt der Krieg, du siehst es nicht, aber es ist Krieg und nur die Härtesten werden überleben und sich als Sieger das nehmen, was sie wollen.
    Setzt euch, ging meine Mutter dazwischen und stellte die Schüssel mit den Nudeln in die Mitte des Tisches. Wollen wir nicht ein Tischgebet sprechen, fragte Vater und faltete die Hände. Aber das machen wir sonst nur Weihnachten, wandt Mutter ein. Es ist ein Ros entsprungen, schoss es mir durch den Kopf. Warum wollte mein Vater mich bis aufs Blut provozieren, Pater? Ich kam mir immer vor wie der Sündenbock, ich war schuld, an allem schuld, was in seinem Leben schiefgelaufen war, er musste mich Gott opfern, mir die Kehle durchschneiden und mein Blut sammeln in einer Schüssel. Magst du denn keine Tomatensauce, du liebst doch Tomatensauce, dachte ich? Dann nimm dir Butter, wenn du magst, oder Parmesan. Er isst, was auf den Tisch kommt. Nimm Chili, dann schmeckt es dir besser. Er kippte das Pulver über meine Nudeln. Was hatte ich ihm getan?
    Ich werde in die Klinik gehen, Pater, ich möchte wissen, ob er mein Vater ist. Muss ich ihn deshalb exhumieren? Mach ich das nicht gerade? Ihn ausgraben und die Erde von den Knochen pissen. Er quälte nicht nur mich, er quälte auch Mutter. Sie brachte das Geld mit, das er in Luft auflöste, mit seinen Luftgeschäften und Luftbuchungen, seinen Luftschlössern. Er quälte sie, fast war es so, als wollte er sie bestrafen, indem er sie, indem er uns arm machte, ruinierte, in den Bankrott, in die Privatinsolvenz trieb, in den Offenbarungseid. Aber Mutter zog wie die Flaschen immer wieder ein Konto, einen Koffer, ein Schließfach aus dem Nichts, aus dem Verborgenen und beglich mit seinen Schulden ihre Schuld. Hatte sie eine Schuld, war ich ihre Schuld? Warum hatte sie ihn nicht verlassen? Sie liebten sich. Ich verstehe nicht, warum, aber sie liebten sich, sie konnten nicht anders, sie liebten sich auf meinem Rücken. Ich lag auf dem Bauch, in die Matratze gepresst, erstickte fast, und sie liebten sich auf meinen Schultern, drückten mein kümmerliches Flügelpaar unter die
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