Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition)
Autoren: Albert Ostermaier
Vom Netzwerk:
wird, spüre ich ihn, diesen Schmerz, ich begrüße ihn, hallo Papa, willst du nicht in den Skistiefel, musst du aber, sei ein braver Vater. Mein Vater gab mir Voltaren, schluck das, Junge, vergiss die Nebenwirkungen, lies das nicht, sei hart, prügelhart die Piste, vereistes Beton. Ich stand auf dem Sprungbrett, das kannst du ja trotz deines Sprunggelenks, vorne, die Zehen über dem Abgrund, das Brett wippte, nahm die Angst meines Körpers auf, Kerze, du wirst doch nicht nur eine Kerze springen, dreh dich, Köpfer, Kopfsprung, Salto, denk an Acapulco, Todesspringer, du bist doch ein mutiger Junge, alle schauen dir zu, du bist der Jüngste da oben, die Mütter schreien mit stummen Mündern, sie sind so weit weg, jetzt, ich krümme mich wie ein Embryo und falle, falle, knalle auf das Wasser, ich zerspringe in tausend Stücke, Knochensplitter in den Mündern, mein Vater spuckt meine Knochen auf den Boden, ich sammle sie ein, krieche, suche, setze mich zusammen, klebe mich mit Tesafilm zusammen, alle lachen sie, lachen mich aus, Arschbombe, mein Steißbein gebrochen, ich schreie, schreie, schreie noch heute im Schlaf auf, Mutter, Mutter, deine Mutter ist nicht da. Meine Mutter, Herr Pater, werden Sie sich fragen, wo war sie? Du sollst Vater und Mutter ehren? Und Mutter, ja, Mutter war immer nur »und Mutter«, das will ich und deine Mutter, und Mutter wird mir zustimmen, und hast du es Mutter schon gebeichtet, und Mutter wird dir schon was erzählen, und Mutter hat dafür auch nicht das geringste Verständnis, und Mutter geht das gar nichts an, Erziehung ist Vatersache und Mutter macht den Haushalt. Deine Mutter bringt sich wieder einmal um, empfing mich mein Vater seelenruhig vor dem Fernseher sitzend, mittags, als ich von der Schule kam, sie hat sich eingeschlossen, aus seiner Comedy brüllte ein eingespielter Lacher. Was denkst du, versucht sie es wieder mit Schlaftabletten oder mit meinem Bademantelgürtel? Und wieder lachten sie. Sie könnte sich eigentlich auch im Bad die Pulsadern aufschlitzen, wenn sie es in ihrem Suff geschafft hat, sich im Supermarkt Rasierklingen zu kaufen. Es war, als spräche er mit diesen Witzfiguren im Fernsehen, zu einem imaginären Publikum, das jeden seiner Sätze zum Totlachen fand. Am Ende nimmt sie noch das Brotmesser. Er schaute mir nie in die Augen, wenn er mit mir sprach, schaute auf den Bildschirm, seine Uhr, seine Schuhe, überprüfte seine Nägel, strich sich die Butter wie mit dem Lineal auf das Brot. Wenn er mir ins Gesicht schaute, zuckte ich zusammen, als hätte er Werwolfaugen, als liefe ein grüner Streifen über seine Pupillen. Sein ganzer Rücken war behaart, ich hatte Angst, als Kind, wenn ich ihn in der Dusche sah und das Wasser seine Haare gegen den Körper klatschte. Du kannst ihr auf den Bauch springen, nimm deine Skischuhe, ich pumpe ihr nicht mehr den Magen aus. Sie hörten nicht mehr auf zu lachen, das Lachen überschlug sich, wurde immer lauter, als ich die Treppen hochrannte, das Lachen verfolgte mich, wurde größer, war schneller als ich, sprang von Wand zu Wand, lachte mich aus, als ich an Mutters Tür trommelte, meine Fäuste gegen das Holz schlugen wie auf eine Trommel, aus der nichts als Lachen kommt. Sie öffnete nicht, was sollte ich tun, ich warf mich gegen die Tür, ich sprang, ich wusste doch, wie man springt, ich bin auf dem Schanzentisch und spring, spring in die Tür, hinter der sich meine Mutter umbringt, wo sie auf dem Bett liegt, in der Hand das leere Tablettenröhrchen, wo sie an der Heizung hängt, wahrscheinlich hat sie sich am Kronleuchter erhängt und der hat sie erschlagen, lachte jetzt mein Vater mit und über sich selbst, ich sah Mutter blutüberströmt, mit geweiteten Augen, das Bett übersät mit kleinen Flaschen, ein Flaschenmeer aus grünem, weißem, braunem Glas, leere Flaschen, eine nach der anderen geleert, das Lachen, das Schlucken, die paar Schlucke, und schon war die Stimmung besser, zur Verdauung, mir ist schlecht, mein Junge, ich hab mir den Magen verdorben, das ist wie Medizin, ich krachte mit der Schulter gegen die Tür, sank zu Boden, es tat weh, die Tür hatte sich kaum bewegt, aber ich gab nicht auf, nahm Anlauf, sprang und der Schmerz schoss in mich. Ruf die Rettung, rief ich, Vater, hilf, hilf mir, wie konnte ich mich gegen die Tür stemmen, als ich unten den Schlüssel in der Haustür hörte und Mutter sich vollgepackt mit Einkaufstaschen hindurchzwängte, Schatz, ich bin zu spät, verzeih, ich mache gleich Essen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher