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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Autoren: Janine Binder
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Augapfel unter der schwarzen Schwellung nur noch erahnen kann.
    Wir reagieren beide gleichzeitig. Christian wirft sich gegen die Tür, und ich schaffe es, meinen Fuß in den Spalt zu zwängen, bevor die Tür wieder zuschlagen kann.
    Mein Blick sucht das schlecht lesbare Klingelschild, und ich entziffere mit einiger Mühe den Namen »Schulze«.
    »Frau Schulze?« Ich spreche lauter als beabsichtigt, meine Stimme überschlägt sich ungewollt.
    Der Körper der Frau liegt direkt quer hinter der Tür, sodass wir sie nicht weiter aufbekommen, ohne die Frau, von der ich annehme, dass es Frau Schulze ist, noch mehr zu verletzen. Hinter ihr erkenne ich jetzt das reinste Schlachtfeld: ein enger Flur, umgeworfene Möbel, Dreck, auf dem Boden Blutlachen und an den Wänden braunrote Handabdrücke und Wischspuren, die Kot, Schokoladenpudding oder Schlimmeres sein könnten.
    Kurz bin ich schockiert, und meine Gedanken überschlagen sich, während ich im Geiste durchgehe, was zu tun ist.
    »Rettungswagen?« Die Stimme des Kollegen holt mich aus meinen Überlegungen. Ich nicke und stemme mich gegen die Tür, um einen besseren Blick in die Wohnung zu erlangen. Die Frau am Boden summt vor sich hin und reagiert nicht auf uns, so, als wäre das hier total normal.
    Mein Kollege nimmt das Funkgerät, das ich ihm hinhalte, und verständigt einen Rettungswagen. Mit weit aufgerissenen Augen schaut er die Frau am Boden an und dann mich: »Auch den Notarzt?«
    Unschlüssig warte ich einen Moment und schüttele dann den Kopf. Immer noch überlege ich fieberhaft, was uns hinter der Tür erwarten könnte.
    Ich versuche mit der Frau zu reden, die weiter vor sich hinsummt und immer wieder mit kraftlosen Händen versucht, meinen Fuß aus dem Türspalt zu schieben. »Danke. Wir kaufen nichts. Sie können jetzt gehen«, redet sie in einem leichten Singsang vor sich hin. »Winke, winke. Alles gut. Die Kleine ist doch da.«
    Mir wird allmählich unwohl vor der Tür. Weder sehe ich, was in der Wohnung passiert, noch weiß ich, wie viele Personen noch drinnen sind und ob uns da eventuell jemand ans Leder will.
    Da fällt mein Blick erneut auf das Klingelschild. Zwei Namen, nicht einer. »Frag nach, wer noch hier gemeldet ist!«
    Ich habe den Satz noch nicht fertig, als Christian schon ins Funkgerät spricht.
    Mein Hirn rattert wie wild. Was ist hier nur passiert? Häusliche Gewalt, und der Täter ist vielleicht noch in der Wohnung? Ein versuchtes Tötungsdelikt? Ein Unfall? Unwillkürlich trete ich einen Schritt vom Türrahmen weg. Wenn da noch jemand drin ist und bewaffnet, stehe ich hier wie auf dem Präsentierteller, schießt es mir durch den Kopf. Dennoch lasse ich meinen Fuß in der Türöffnung und versuche, den Spalt durch leichten Druck stetig zu vergrößern, während die Frau am Boden von der anderen Seite gegen die Tür drückt und fahrig an meinem Fuß herumnestelt. Im Geiste sehe ich mich schon die Waffe ziehen und in die Wohnung stürmen, sobald ich die Gewissheit habe, dass hier mehrere Personen gemeldet sind. In der Wohnung ist es jedoch bis auf das monotone Gemurmel der Frau totenstill. »Die Kleine ist doch da. Ist ja alles gut. Lalilu. Die Kleine ist noch da. Alles ist gut. Könnt wieder gehen. Polizei. Könnt wieder gehen.«
    Dann passieren zwei Dinge auf einmal. Im Funkgerät knistert es, und ich höre wie durch Watte den Kollegen auf der Wache sagen: »Da sind nur Frau Schulze und ihre Tochter gemeldet …« Stille … »Scheiße, die Kleine ist erst vier!«
    Bereits als der Funker »Scheiße« sagt, fällt mein Blick auf die in Kniehöhe an der Wand angebrachten kleinen Fingerzeichnungen: braunrot auf weißem Grund und das Werk sehr kleiner Finger. Die Farbe ist überall die Wand hinuntergelaufen. Mir wird plötzlich heiß und kalt. »Blut, alles ist voller Blut!«, schießt es mir durch den Kopf.
    Während der Funker weiterspricht, tausche ich mit Christian einen stummen Blick. Wortlos werfen wir uns jetzt gleichzeitig mit voller Kraft gegen die Tür, ohne Rücksicht auf die am Boden liegende Frau. Sie wird über den dreckigen Boden zur Seite geschoben, kreischt laut und tritt um sich. Die Wohnungstür öffnet sich, ich gerate ein wenig aus dem Gleichgewicht und taumele in die Wohnung. »Behalt sie im Auge!«, zische ich und mache mich mit der Hand an der Waffe daran, die Wohnung zu durchsuchen.
    Überall Müllberge, es stinkt widerlich. Laut mache ich mich bemerkbar. »Polizei! IST DA JEMAND ?«
    Mir schlagen nur Stille und
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