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Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel

Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel

Titel: Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
Autoren: Kira Maeda
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drehte sich um, um endlich sein Gesicht sehen zu können. Doch alles, was sie sah, war eine Woge aus dunklen Anzügen und Schuluniformen. Ihr fremder Liebhaber war verschwunden.
    Er stieg die Stufen der Station hinab. In gemächlichem Tempo, ganz so wie jemand, der eine Arbeit gut erledigt hatte. Am Fuß der Treppe blieb er stehen und sah dem abfahrenden Zug nach. Im Fenster erschien das Gesicht einer rothaarigen Frau, die nach etwas zu suchen schien. Bevor sie in Richtung der Treppe sehen konnte, war das Fenster aus seinem Blickwinkel verschwunden.
    Er lächelte und hob die rechte Hand vors Gesicht. Die Fingerkuppen glänzten noch von ihrer Lust. Er kostete, und sein Lächeln vertiefte sich; ihr Geschmack war würzig und gleichzeitig süß.
    Es war einfacher gegangen, als er gedacht hatte. Ihr Anblick hatte ihn überrascht – aber mehr als nur zufrieden gestellt. Selten hatte er eine derart schöne Frau gesehen, ganz gleich, ob nun Asiatin oder westlicher Typ; Isabelle hatte etwas an sich, was ihn herausforderte. Etwas, das in ihrer Ausstrahlung begründet lag. Wie ein neugieriges Kind, das mutig genug war, ungewöhnliche Dinge auszuprobieren. Sie war perfekt. Alles verlief nach Plan. Er wusste, er würde die folgenden Tage mehr als nur genießen.

K APITEL 2
    An ihrem Zielbahnhof musste Isabelle sich erst einmal gegen die nächste Wand lehnen. Ihre Knie zitterten noch immer. Nicht nur wegen der Hitze, sondern vor allem wegen ihres kleinen Intermezzos im Zug. Sie konnte noch immer nicht klar denken.
    Als sie vor einem Jahr in Berlin gewesen war, hatte ein Mann versucht, ihr an den Hintern zu greifen. Sie hatte sich umgedreht und ihm die Hand ins Gesicht geschlagen. Aber diesmal war es anders gewesen. War es die Hitze? Oder diese betörende Stimme? Isabelle wusste es nicht zu sagen.
    Langsam legte sich das Zittern, und auch ihr Atem wurde ruhiger. Um sie herum waren noch immer Leute eifrig damit beschäftigt, von A nach B zu wandern. Straßenlärm dröhnte ihr in den Ohren, und der Gestank von Benzin und verbrannten Reifen drang in ihre Nase. Als Isabelle die Treppe des Bahnhofs herunterstieg, sah sie auch warum. Der Bahnhof lag direkt an einer riesigen Kreuzung, auf der abwechselnd Autos und Menschen die Straßen überquerten. Mittlerweile war es dunkel geworden, und alles um sie herum schien zu leuchten, zu blitzen oder sonst wie mit Lichteffekten auf sich aufmerksam zu machen.
    Isabelle holte wieder den Zettel heraus und las die Instruktionen. Es war eine ausgedruckte E-Mail, die ihr Tomo, Shins Exfreundin geschrieben hatte. Sie hatten sich zwar erst durch Shin kennengelernt, aber mit den Jahren entstand daraus eine Freundschaft. Daher war auch Tomo die erste Person, an die Isabelle gedacht hatte, die ihr bei der Suche nach Shin helfen konnte. Aufmerksam las sie die Mail noch einmal durch. Da stand, dass sie unter dem großen Bildschirm warten sollte. Isabelle sah nach oben. Drei riesige Bildschirme hingen mehrere Meter hoch über ihr. Und welcher von denen sollte jetzt der Richtige sein?
    Sie wollte gerade noch einmal nachsehen, ob sie auch wirklich am richtigen Bahnhof angekommen war, als sie jemand an der Schulter berührte. Isabelle drehte sich um und sah sich Tomos zierlicher Gestalt gegenüber. Sie war fast einen ganzen Kopf kleiner als Isabelle. Auf dem hübschen Gesicht lag ein Lächeln. Tomo besaß unglaublich langes, schwarzes Haar. Anders als die meisten jungen Japanerinnen färbte sie es nicht hellbraun, sondern trug es in immer neuen, außergewöhnlichen Frisuren. Heute hatte sie es zu zwei Zöpfen geflochten. Zusammen mit den herzförmig geschwungenen Lippen und den weichen Gesichtszügen glich ihre Erscheinung einer lasziven Lolita. Der knappe Rock mit Karomuster und die weit offene weiße Bluse rundeten das Bild perfekt ab. Dabei hatte Tomo, das wusste Isabelle von Shin, die 20 schon einige Zeit hinter sich gelassen.
    „Isa-chan!“ Die Japanerin umarmte Isabelle und diese lächelte. Die verniedlichende Version ihres Namens hatte sie schon sehr lange nicht mehr gehört. Sie erwiderte die Umarmung, froh, die Freundin wiederzusehen. „Hallo, Tomo. Danke, dass du gekommen bist.“
    Tomos große Augen weiteten sich. Isabelle bemerkte erst jetzt die blauen Kontaktlinsen darin und blinzelte überrascht. Anscheinend war das der letzte Schrei in Tokio. Shins Exfreundin war schon damals, als Isabelle sie kennengelernt hatte, verrückt nach der neuesten Mode gewesen. Egal, was es war, es musste schrill,
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