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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Autoren: Jana Simon
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Es hieß: Weg von den Russen, hin zu den Amerikanern. Es ging über Eberswalde bis hoch nach Mecklenburg, immer parallel zu den Flüchtlingstrecks. Wir saßen auf einem alten Feuerwehrwagen. Gewehr und Stahlhelm warf ich weg. Als die Amerikaner uns gefangen nahmen, hatte ich schon nichts mehr. Die Amerikaner ließen uns ein improvisiertes Lager aufbauen und Stacheldraht um ein Kiefernwäldchen ziehen. Es gab zuerst ein Frühstückspäckchen – Kekse und Zigaretten – für drei Mann. Wir hatten aber noch ein paar Konservenbüchsen im Rucksack. Nach 14 Tagen wurden wir jungen Burschen auf die umliegenden Bauernhöfe verteilt, um zu helfen. Dort kriegten wir ordentlich Bratkartoffeln und Milchsuppe. Wir waren drei Thüringer und brachen dann eines Morgens nach Hause auf. Wir haben uns quasi selbst befreit. Uns hat auch keiner aufgehalten, weil wir wirklich junge Bürschchen waren. Das war im Mai 1945 …
    CW     Wieso, am 8 . Mai war doch erst die Kapitulation.
    GW     Davon erfuhren wir auf dem Weg nach Hause.
    JS     Warst du erleichtert, dass der Krieg vorbei war?
    GW     Ja, man wollte nach Hause. Viele, die früh nach Hause kamen, wurden von den Russen noch einmal geschnappt und gerieten erneut in Gefangenschaft. Es herrschte großes Durcheinander.
    JS     Hast du an Hitler geglaubt, du hast im Krieg für ihn gekämpft?
    GW     Ich war Telefonist, richtig gekämpft habe ich also nicht. Das ist hochinteressant, einige Jahre später arbeitete ich als Dramaturg an dem Film Ich war neunzehn von Konrad Wol f 4 mit. Seine Familie hatte in Russland im Exil gelebt, und er kämpfte auf Seiten der Russen. Im Krieg lagen wir beide uns 1945 an der Oder gegenüber, und ich hörte deren Agitation über Funk, die spielten deutsche Schlager und forderten uns auf, die Waffen niederzulegen. Diese Parolen trafen bei uns auf völlig taube Ohren. Sollten wir über die Oder schwimmen oder was?
    JS     Und mit wem hast du immer telefoniert?
    GW     Ich habe Strippen gezogen, Leitungen zwischen den einzelnen Abteilungen gelegt. Manchmal wurden wir dabei auch von den russischen Fliegern beschossen. Und unsere Batterie hatte einen Decknamen …(überlegt) nicht Birke. Nein, Weide!
    JS     Das heißt, du hast damals an den Nationalsozialismus geglaubt?
    GW     Du, das ist eine komische Frage! Was heißt geglaubt? Wir haben uns an der Front darüber unterhalten, dass die Amerikaner schon in Eisenach standen, fragten uns: Was soll das eigentlich alles noch? Wie kommen wir nach Hause? Was ist los? Das waren die Fragen, die uns bewegten.
    JS     Hattest du Angst um dein Leben?
    GW     So eine richtige Urangst hatte ich eigentlich nie. Ich saß im Trommelfeuer in einem Erdbunker, und ich hatte keinen Stahlhelm auf, hatte mir nur so einen Brattiegel über den Kopf gestülpt. Ich dachte, der schützt irgendwie. Bis 16 . April 1945 war es ruhig gewesen. Als es dann losging, zog sich die ganze Batterie sofort zurück. Ich weiß gar nicht mehr, ob es überhaupt noch Befehle gab. An eine Begebenheit kann ich mich erinnern, aber nicht mehr an den Ort, an dem das geschah. Da haben wir uns eingegraben und Geschütze aufgestellt. Mich stellten sie sogar an ein Maschinengewehr, womit ich mich überhaupt nicht auskannte. Dann kamen die Russen, liefen in Reihen auf uns zu, und die Kugeln surrten. Gott sei Dank gab es den Befehl, dass wir Fernsprecher wegrücken sollten. Ich war froh, wir rannten, und die Kugeln pfiffen um uns herum. Unserer Batterie passierte aber nicht viel, die gaben ein paar Schüsse ab, sprengten die Kanonen und setzten sich ab. Ich saß in einem Funkwagen, neben mir verblutete ein Mann, er war ganz bleich im Gesicht, und das Blut sickerte aus seinem Arm. Dann erschien ein Ritterkreuzträger und wollte uns alle aufhalten. Er schoss in die Luft, schrie, wir sollten uns verteidigen. Es war ein völliges Durcheinander. Die Flucht war sehr abenteuerlich.
    Als ich 1945 nach Hause kam, wurden wir vom Rathsfeld vertrieben. Die Russen machten ein Lazarett aus dem Schloss. Innerhalb eines Tages mussten wir unsere Wohnung räumen und alles auf den Anhänger eines Treckers laden. Wir hausten in Frankenhausen wie Flüchtlinge ein halbes Jahr in einem Klassenraum.
    JS     Wusstest du zu dieser Zeit, dass es Konzentrationslager gab? Hattest du davon irgendetwas mitbekommen?
    GW      (überlegt) Das ist sehr schwer zu beantworten.
    CW     Ich wusste es.
    GW     Da müsste ich sehr genau
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