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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)
Autoren: Jana Simon
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gleich das Maschinengewehr auf den Knöchel, fortan saß er immer in Schreibstuben. Übrigens wollte er einmal Journalist werden, der Einzige in der Familie. Die anderen waren alle Handwerker, mehrere Generationen Büchsenmacher in Suhl. Die waren nie im Krieg, sondern haben Gewehre gebaut. In den Sommerferien besuchte ich meine Onkel, die nahmen mich mit in die Fabrik, und mit einem Cousin habe ich dort einmal Gewehre eingeschossen. Da saß ich in so einem Graben, über mir knallten die Schüsse hinein, und ich zeigte an, wo sie hingingen. Das hat mir sehr imponiert. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde mein Vater in das Hunderttausend-Mann-Heer übernommen, war Unteroffizier in einer Schreibstube, später war er im Stahlhelmbund, eine Organisation von Frontkämpfern, die dann in der SA aufging. Da hatte mein Vater schon eine kleine Stelle als Angestellter im Finanzamt. Und er war ein sehr guter Stenolehrer.
    CW     Ich habe bei ihm Steno gelernt.
    GW     Er hat damit Preise gewonnen. Er war der typische kleine Mann, der in der SA landete. Das war seine Partei. Er war Jahrgang 1896 , machte wie Christas Vater im Zweiten Weltkrieg den Polenfeldzug mit und war ganz kurz in Frankreich. Danach wurden sie als alte Herren zunächst entlassen.
    CW     Mein Vater blieb Soldat in der Schreibstube des Bezirkskommandos, aber er konnte abends nach Hause kommen. Über seine graue Soldatenhose zog er einen weißen Kittel und ging noch in unseren Kaufmannsladen in Landsberg, um meiner Mutter zu helfen, die das Geschäft im Krieg weiterführte.
    JS     Wie hast du das erlebt, Opa, dass plötzlich eine neue Mutter in die Familie kam?
    GW     Sie war streng. Alles war sehr reglementiert. Einer musste Schuhe putzen, der andere staubsaugen. Wir haben neulich übrigens einen ganz untertänigen Brief von mir an sie gefunden. Das muss ich gemacht haben, damit ich einen guten Stand bei ihr hatte.
    JS     Du mochtest diese neue Frau nicht besonders?
    GW     Nein, aber mein Bruder Dieter 3 hat ebendiesen Brief gefunden, in dem ich die »neue Mutti« begrüße. In dem ich schreibe: »Gut, dass wir wieder eine Familie sind.« Ziemlich brav und unterwürfig.
    CW     Ganz gefühlstriefend.
    GW     Was mich selbst erstaunte, weil es ja nicht der Wahrheit entsprach. Sie bekam dann 1942 noch ein Kind mit meinem Vater. Das war der Halbbruder Helmut, der 1987 bei einem Autounfall tödlich verunglückte.
    JS     Von ihm hast du mir noch nie erzählt. Bist du mit ihm aufgewachsen?
    GW     Nicht mehr richtig. Ich ging bald weg. Mit 15 Jahren wurde ich als Luftwaffenhelfer eingezogen. Wie jung wir da waren! Mein Vater war Buchhalter beim Kyffhäuserbund geworden, und deshalb zogen wir auf das Rathsfeld nahe Frankenhausen. Da hatten wir zum ersten Mal eine schöne Wohnung in einem alten, modern renovierten Haus mit Bad und Wassertoilette. Das war dort damals selten.
    JS     Augenblick mal, das geht mir zu schnell. Du wurdest mit 15 in den Krieg geschickt, wo wurdest du eingesetzt?
    GW     Zuerst in Erfurt, am Rande der Stadt standen 4 er-Flakbatterien gegen Tiefflieger. Es gab einen großen Angriff, dabei wurden ein paar Jungs verwundet. Dann wurden wir an die Saale-Talsperre verlegt. Die Engländer hatten zuvor im Westen die Edertalsperre mit einem Torpedo zerstört, und nun sollten alle anderen Talsperren geschützt werden. Wenn Alarm ertönte, nebelten sie das ganze Tal ein, so dass man nichts sehen konnte. Wir saßen auf den Bergen ringsherum, und von Bergkuppe zu Bergkuppe hing ein Netz mit kleinen Sprengkörpern darin. Dort passierte nicht viel. Bis Januar 1945 . Dann wurden wir alle an die Front, an die Oder geschmissen. Hier standen viele Flakbatterien großen Kalibers, die hatten aber kaum Munition. Die Russen hatten mit einem Brückenkopf schon die Oder überquert, sonst war sie die Frontlinie. Da war Stillstand bis zum großen Angriff am 16 . April, bei dem sie mit dem größten Trommelfeuer des Zweiten Weltkriegs auf uns schossen. Ich lag vor Bad Freienwalde, und wir flohen nördlich an Berlin vorbei zu den Amerikanern.
    JS     Hast du da noch an einen Sieg Deutschlands geglaubt?
    GW     Nein. Die Amerikaner waren schon in Thüringen. Es gab aber noch Einzelne, die erzählten: »Der Führer hat die Wunderwaffe! Da ist noch was! Der Krieg kann doch nicht verloren sein!« Und dann geriet ich in Gefangenschaft. Oben in Mecklenburg, noch auf östlicher Seite der Elbe. Alle strömten dorthin.
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