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Sehnsucht nach Owitambe

Sehnsucht nach Owitambe

Titel: Sehnsucht nach Owitambe
Autoren: P Mennen
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konnte, mit ihrem Mann allein zu sein. Sie wollte gerade etwas erwidern, als ein von Pferden gezogener Pritschenwagen in rasendem Tempo auf den Festplatz gefahren kam. Alle Blicke wandten sich teils entsetzt, teils entrüstet dem Gefährt zu, das von einem jungen schmächtigen Mann gelenkt wurde. Erst als es in der Nähe der Tanzfläche zu stehen kam, konnte man erkennen, dass der Wagen Mist geladen hatte. Der junge Mann sprang von seinem Kutschbock auf die hintere Pritsche, auf der zwei schwarze
Farmarbeiter bereits die Seitenwände gelöst hatten und sich daranmachten, den Mist mit Gabeln in hohem Bogen auf die Tanzfläche zu werfen. Eines der Tanzpaare bekam eine volle Ladung Mist ab und kreischte vor Entsetzen auf.
    Fritz und Johannes hatten sich mittlerweile mit Blicken verständigt. Sie waren beide ein ganzes Stück von dem Geschehen entfernt und eilten mit langen Schritten darauf zu. Doch bevor sie das Gefährt erreicht hatten, war die ganze Mistladung schon auf der Tanzfläche gelandet. Der junge Mann grinste unverschämt in die Menge, kletterte wieder auf den Kutschbock und ergriff drohend die Peitsche. Als er Fritz und Johannes vor sich stehen sah, erhob er seine Stimme, die sich vor Aufregung und Triumphgefühl überschlug.
    »Einen schönen Hochzeitsgruß von meinem Vater«, schepperte er bösartig. »Das ist unser Hochzeitsgeschenk. Keiner von uns Nachtmahrs würde jemals auf eine Kaffernhochzeit gehen! Owitambe und seine Bewohner sind eine Schande für das Deutsche Reich, und für den Kaiser erst recht. Wir scheißen auf euch!«
    Mit diesen ordinären Worten knallte er mit der Peitsche und lenkte seine Pferde vom Hof. Fritz wollte den Tieren in die Zügel fallen, doch Johannes schüttelte nur beschwichtigend den Kopf.
    Triumphierend preschte der junge von Nachtmahr davon.
     
    Die ausgelassene Stimmung war mit einem Mal wie weggeblasen. Überall bildeten sich Grüppchen, die den Zwischenfall eifrig kommentierten. Jella nahm sehr wohl wahr, dass es auch unter ihren Gästen einige Sympathien für die Nachtmahrs gab. Sie diskutierten gestenreich mit den anderen, die die Aktion empört als Sabotage bezeichneten. Die Heirat ihres Vaters mit einer Eingeborenen sorgte immer noch für viel Aufregung. Die nationalistisch eingestellten Farmer waren der festen Überzeugung,
dass die schwarze Bevölkerung minderwertig und der europäischen Rasse weitaus unterlegen war. Es fiel ihnen schwer, Männer mit liberaleren Ansichten zu akzeptieren. Auf der anderen Seite war Johannes von Sonthofen bei allen wegen seiner politischen Weitsicht anerkannt. Ihm und seinen guten Beziehungen zu den Schwarzen war es schließlich zu verdanken, dass es in der Nachbarschaft von Owitambe bisher noch zu keinen Überfällen der Herero gekommen war. Ehe man sich’s versah, war aus der Hochzeit eine politische Debatte geworden. Erste Gäste brachen bereits auf, andere folgten, und die Gesellschaft drohte auseinanderzufallen, bevor der Abend überhaupt richtig begonnen hatte.
    Wütend und verzweifelt eilte Jella zu ihrem Vater. Sie wollte den schönsten Tag ihres Lebens keinesfalls so enden lassen.
    »Du musst zu den Gästen sprechen«, forderte sie. »Sag ihnen, dass das Fest jetzt erst richtig losgeht. Ich spreche mit Nancy, dass sie die Bowle bringen soll. Wir schenken sie einfach ein wenig früher aus!«
    Johannes umarmte seine Tochter herzlich, bevor er sich auf die ruinierte Tanzfläche begab. Mit ruhiger, kräftiger Stimme brachte er die Gäste dazu, ihm zuzuhören.
    »Wollt ihr euch wirklich von solch einem ungehobelten Raubein das schöne Fest verderben lassen?«, rief er. »Es mag unterschiedliche Meinungen geben, das gebe ich wohl zu. Aber muss das gleich mit barbarischen Mitteln kundgetan werden? Damit setzt er sich nur selbst ins Unrecht! Ich bitte euch, diesen billigen Zwischenfall zu vergessen. Heute ist der Hochzeitstag meiner einzigen Tochter. Da sollten Zwistigkeiten keine Rolle spielen. Lasst uns die Tische beiseiteräumen und eine neue Tanzfläche schaffen. Wir alle werden dem Fest einen neuen Glanz verleihen!«
    Zustimmendes Gemurmel zeigte, dass Johannes die richtigen Worte gewählt hatte. Die verkrampfte Stimmung löste sich und
wich einer neuen Heiterkeit. Mit einem Mal wurde der Zwischenfall mit Humor betrachtet und das mit Mist beworfene Tanzpaar gar zur geheimen Attraktion des Abends. Mit zufriedenem Lächeln stellte Johannes fest, dass sogar die zur Abfahrt bereiten Gäste wieder kehrtmachten und zurückkehrten.
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