Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit
Autoren: Karl Schroeder
Vom Netzwerk:
gekritzelt.
    Â»Da ist der Mann, den Sie sehen wollten, Professor. « Der Reporter wirkte etwas nervös. Er schlug einen dicken Aktenordner auf und hielt ihn in das Licht, das durch das Fenster fiel. »Chaison Fanning, ehemals Admiral der Flotte von Slipstream. Unser wichtigster Gast.«
    Â»Hm.« Der Besucher griff vorsichtig nach dem Ordner und blätterte die Seiten durch. Dann sah er wieder zu Chaison hinüber. Das Drahtgestell seiner Brille blitzte im silbrigen Wolkenlicht. Er schien nicht hierherzugehören ; er erinnerte Chaison entfernt an einen Professor für Literatur aus seiner Studienzeit.
    Chaison räusperte sich. »Ich begreife das nicht«, erklärte er mit einer Bitterkeit, die er nicht unterdrücken konnte. »Ich habe eine umfassende Aussage gemacht. Sie wissen alles.«
    Â»Eben nicht!« Der Reporter starrte ihn an. Mordlust stand in seinem Blick. »Haben Sie die Genehmigung, meine Beiträge in Geheimdienst Intern zu lesen?«, fragte
er den Besucher. »Er ist bis zu einem gewissen Punkt kooperativ, und ich konnte bisher die meisten Abgabefristen einhalten. Aber eine wichtige Information hält er zurück. Er ist sehr diszipliniert und trainiert unermüdlich in seiner Zelle, Sprünge von Wand zu Wand, isometrische Übungen … Offenbar will er lieber sterben, als dieses letzte Stück Wissen preiszugeben. Ich hatte gewisse Schwierigkeiten, den letzten Artikel der Serie fertigzustellen. Ich nehme an, das ist der Grund, warum Sie …?«
    Â»Hm, ich bin nicht hier, um Ihre Arbeit zu kritisieren. Sie waren immer ein guter Schüler«, begütigte der Professor. »Aber beginnen wir doch am Anfang. Hier steht, Sie …« Er unterbrach sich kurz, las den Text, schob dann die Brille hoch und las ihn noch einmal. »Ist das wirklich so gewesen?«
    Â»Offiziell nicht«, seufzte der Reporter. Er beobachtete sichtlich enttäuscht, wie der andere mit einem Ausdruck wachsender Ungläubigkeit die Akte durchblätterte. Nach etwa einer Minute nahm sich der Professor zusammen und schaute zu Chaison auf.
    Â»Sie haben unsere Flotte angegriffen und ihr schweren Schaden zugefügt«, sagte er.
    Chaison nickte.
    Â»Mit sechs Schiffen?«
    Chaison zuckte bescheiden die Achseln und gestattete sich ein leises Lächeln.
    Â»Wie war das möglich?«
    Â»Sollten Sie sich nicht lieber fragen«, erkundigte sich Chaison, »warum Sie nie davon gehört haben?«
    Der Reporter griff hinter sich und löste von einem Brett neben dem Fenster ein paar bedrohlich aussehende
Wurfpfeile. Chaison konnte nicht mehr schlucken, sein Mund war plötzlich trocken geworden.
    Â»Nicht so hastig«, schaltete sich der Besucher ein und legte dem Reporter die Hand auf den Arm. »Versuchen wir es doch zuerst im Guten. Ich nehme an, dass ich von diesem Angriff deshalb nichts erfahren durfte«, wandte er sich an Chaison, »weil es sich um eine nationale Blamage handelt.«
    Chaison warf einen vorsichtigen Blick auf den Reporter, dann sagte er: »Ihr Volk wollte mein Land ohne Vorwarnung überfallen. Ich habe Ihre Flotte noch auf Ihrem eigenen Territorium angegriffen und dezimiert. «
    Damit hatte er in zwei Sätzen ein Verzweiflungsmanöver zusammengefasst. Man nehme den Rausch des Kampfes, die Panik, die lauten Befehle auf der Brücke eines qualmenden Schiffs, das Blut über den Himmel verspritzte, während es mit mehr als dreihundert Stundenkilometern durch tiefe Dunkelheit raste – und reduziere all das schamlos auf einen Eintrag im Geschichtsbuch. Ein Ding der Unmöglichkeit; die Erinnerung an die Kugeln, die wie ein Platzregen auf den Rumpf prasselten, riss Chaison jede Nacht aus dem Schlaf. Jeden Moment konnte ihn eine ungewöhnliche Beleuchtung übergangslos auf diese Brücke zurückversetzen, wo die Gesichter der Männer nur von den Instrumenten erhellt wurden und die wogende Finsternis vor den gepanzerten Fenstern alle paar Sekunden in grellem Weiß aufleuchtete, weil irgendein Schiff in der Nacht explodierte.
    Â»Unfassbar.« Der neue Mann war so in seine Lektüre vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie Chaison in
seine Tagträume versank. »Hier steht, Sie hätten etwas namens ›Radar‹ verwendet, um Ihre Schiffe mit Höchstgeschwindigkeit durch Wolken und Dunkelheit zu steuern. Offenbar konnten wir mehrere funktionsfähige Geräte aus den Trümmern Ihrer Schiffe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher