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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit
Autoren: Karl Schroeder
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so vielen Monaten, als sie unversehens am Himmel seiner früheren Heimat Spyre aufgetaucht war. Man wusste eben nie, was Venera Fanning einfallen würde, und er hatte es längst aufgegeben, sie durchschauen zu wollen. So zuckte er nur die Achseln und wandte sich den übrigen Mitgliedern der Planungsgruppe zu, die jetzt, ganz außer sich über das jähe Verschwinden ihrer Herrin, kopflos durcheinanderliefen.
    Garth klatschte laut in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Hört auf zu gaffen! «, mahnte er. »Wir haben viel zu tun, und die Zeit ist knapp. Wir müssen Verbindung zum Untergrund von Aerie aufnehmen und noch mehr Leute in den Palast des Piloten einschleusen. Alle Steine müssen so aufgestellt sein, dass sie im entscheidenden Moment in die richtige Richtung fallen.
    Wer eine Regierung stürzen will, kann nicht auf seinem Arsch herumsitzen und die Hände in den Schoß legen.«

TEIL EINS
Der Admiral

1
    Heute wurde er gleich von zwei Pei nigern erwartet.
    Chaison Fanning hielt sich mit einer Hand am Türrahmen fest, obwohl er wusste, dass ihn der Wärter in den nächsten Sekunden mit einem Tritt von hinten in den Raum befördern würde. »Meine Herren«, sagte er mit aller Gelassenheit, die er aufbringen konnte, »was verschafft mir die Ehre?« Keiner der beiden antwortete, aber das spielte keine Rolle; es zählte schon als Sieg, sich selbst so höflich sprechen zu hören. Mit etwas Glück verlieh ihm dieser erste Moment die Kraft, alles Folgende zu ertragen.
    Chaison stieß sich ab und schwebte in den Raum hinein, bevor der Wärter zutreten konnte. »An diese Wand«, befahl der Mann, der normalerweise die Verhöre führte. Chaison kannte seinen Namen nicht, bezeichnete ihn aber wegen des Schilds an seiner Uniform als den Reporter . Die Prägeschrift auf dem weißen Viereck verkündete, dass sein Träger der ABTEILUNG PRESSEARBEIT angehörte. Der Name war mit einem Streifen überklebt. Chaison hatte das Schild anfangs für einen Scherz gehalten ; doch man hatte ihn eines Besseren belehrt.
    Wenn Chaison nachts zusammengekrümmt in der Schwerelosigkeit seiner dunklen Zelle schwebte, malte
er sich oft aus, wie er den Reporter ermordete. Es waren kraftlose, zerbrechliche Phantasien – eigentlich nur schwache Hoffnungen, die oft in Panik endeten, wenn er erwachte und feststellte, dass er ins Zentrum des kleinen Raums abgedriftet war und seine hektisch suchenden Hände weder Wand noch Decke oder Boden ertasten konnten. In solchen Momenten gab es nichts, woran er sich halten konnte, ein Schrei wäre der einzige Beweis für die eigene Existenz; das Gesicht seines namenlosen Peinigers das einzige Bild in seinem Geist.
    Doch schreien wollte er nicht, auch wenn die Gefangenen in anderen Zellen es taten. Manchmal brachten ihre Stimmen ihn wieder zu sich. Vor ein paar Nächten hatte er in der alles verschlingenden Finsternis geschwebt, als er plötzlich eine junge Stimme durch die Nacht rufen hörte. Zuerst hatte er geglaubt, sein Gehirn spiele ihm einen Streich, denn die Stimme war ihm bekannt. Doch dann hatte er zurückgerufen und eine Antwort erhalten.
    So hatte Chaison erfahren, dass ein Mitglied seiner Besatzung mit ihm in Haft saß. Das Wissen hatte sich wie Feuer in ihm ausgebreitet und seinem Dasein einen neuen Sinn gegeben. Und es hatte ihm den Mut verliehen, seinen Peiniger gerade eben auf diese Weise zu begrüßen.
    Â»An die Wand und die Hände in die Eisen«, befahl der Reporter. Er befand sich dicht neben dem einzigen Gitterfenster des Raums. Chaison wischte sich einen Schimmelfleck von der Handfläche. Wenn ein Gebäude wie dieses Gefängnis nie unter Schwerkraft gestanden hatte, sammelte sich das Zeug überall; dieser Fleck ragte
wie ein feiner weißer Pelz senkrecht aus dem Türrahmen, eine ähnliche Schicht bedeckte aber auch die Wände seiner Zelle. Der neue Mann legte ihm die rostigen Ringe um die Handgelenke, und Chaison wappnete sich für einen Boxhieb oder eine andere Attacke, die ihn für die kommenden Fragen weich machen sollte. Zu seiner Erleichterung sah ihm der Mann jedoch nur kurz in die Augen und brachte sich dann mit einem eleganten Sprung an die Seite des bleichen Chefpeinigers hinter den Tisch auf dem Podest.
    An seiner grauen Uniform steckte ein Schild mit der Aufschrift: HALLO, MEIN NAME IST. Darunter hatte jemand mit der Hand 2629
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