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Segel der Zeit

Segel der Zeit

Titel: Segel der Zeit
Autoren: Karl Schroeder
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das würde sich nun bald ändern. Die große Falle war bereits aufgebaut, sie brauchte nur noch etwas, um sie auszulösen.
    Jemand klopfte diskret an die Tür. »Es ist so weit«, meldete ein Diener. Venera richtete sich hastig auf und fegte die Fotos vom Tisch.
    Â»Gehen wir!«
    Es bereitete ihr eine tiefe Genugtuung, nur ein Stäubchen unter Tausenden zu sein, die sich auf den Luftstraßen drängten, und doch zu wissen, dass selbst die
Aufständischen, die den Großen Markt in Zylinder zwei niedergebrannt hatten, für die Stadt eine geringere Gefahr darstellten als sie selbst. Vor den gewölbten Taxifenstern flogen die schwerelosen Stadtviertel vorbei. Venera sah Essensverkäufer und Handwerker, die in Kugeln aus Weidengeflecht ihre Waren feil hielten – eine ganze Wolke solcher Kugeln bildete den Bauernmarkt. Jaulende Jets oder Schwärme von zusammengeschirrten Albatrossen zogen riesige Netze mit den verschiedensten Waren (hier eine Galaxis aus Kohlköpfen, dort ein Sortiment von Maschinenteilen) hinter sich her. Ein paar Tagelöhner hatten ihre Hemden abgestreift und tauchten, grölend wie kleine Jungen, Köpfe und Schultern in einen zitternden Wasserball von zehn Metern Durchmesser. Im Licht von Slipstreams naher Sonne war alles in messerscharfer Deutlichkeit zu erkennen.
    Das Trockendock lag zurzeit im Schatten des Asteroiden Rush. Der Asteroid war rundherum mit Bäumen bewachsen und sah im Gegenlicht so aus, als trüge er ein Fell. In der kühleren Luft des langen Schattentunnels hatte sich eine Wolkenbank gebildet, die bei Veneras Eintreffen mit ersten grauen Fingern nach dem Trockendock griff. Die Besatzung des Schleppers nahm die letzten Feineinstellungen vor. Während Venera – buchstäblich – in der Luft schwebte, schweifte ihr Blick über das endlose Panorama von Wolken und Himmel jenseits der Stadt. Ein Labyrinth, in dem das Auge in keiner Richtung Halt fand. In Veneras Welt gab es kein Oben und Unten – außer, man schuf es sich selbst –, die Schlepperbesatzung konnte sich, wenn überhaupt, nur am Licht der näheren Sonnen orientieren. Und bei
Nacht fehlte auch diese Hilfe. Die Richtungslosigkeit machte Flüge wie diesen selbst für erfahrene Piloten riskant. Die Nachrichtenübermittlung über internationale Entfernungen war unzuverlässig und allenfalls sporadisch möglich.
    Sie hatte allen Grund, hier in Rush zu bleiben und die einzelnen Schritte des Planes zu überwachen. Das war nur logisch, und es war sicher.
    Die Triebwerke des kleinen Schleppers sprangen hustend an. »Wir sind startklar!«, rief der Chefingenieur.
    Venera wandte sich an Garth. »Nun«, begann sie und erkannte selbst erst in diesem Moment, was sie vorhatte. »Du sorgst dafür, dass alles glatt läuft«, fuhr sie fort und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
    Â»Du willst doch nicht etwa mitfliegen?«, fragte er ungläubig.
    Â»Ich bin bald wieder zurück«, versprach sie munter in einem Tonfall, der alle Einwände abwehrte.
    Â»Aber gerade jetzt wirst du hier am dringendsten gebraucht …«
    Â»Aber Garth, du hast mich doch noch nie gebraucht «, scherzte sie und hechtete auf die offene Luke des Schleppers zu, bevor er noch mehr sagen konnte.
    Â»Nimm Verbindung zu Hayden auf! Und zu Shambles! Aber bleib auf Abstand, vergiss das nicht!« Sie winkte ihm zu, während sich die Luke schloss. »Und kümmere dich um deine Tochter! Man kann ihr immer noch nicht trauen!«
    Garth fluchte, was das Zeug hielt – musste aber dabei lachen. Der Schlepper rülpste seine Abgase in den frischen Nebel. Das Schiff löste sich von den Trägern des Trockendocks und zog eine langsam expandierende
Galaxis aus Schrauben und Muttern, losen Rumpfplatten und verbogenen Drähten hinter sich her.
    Es entfernte sich im langen Kegelschatten des Asteroiden von der Stadt. Der Nebel kondensierte auf seiner Nase, kroch über den Rumpf, vorbei an den mannsgroßen Trägerraketen, die Veneras Leute an das Eisen geschraubt hatten, und tastete sich wie die Finger eines Blinden über die Glieder einer fast zwei Kilometer langen, schweren Kette, die um die Schiffsmitte gewickelt war. Achtern lösten sich die Tropfen und hingen zitternd wie schwerelose Edelsteine in der Luft, bis das Schiff in der Ferne verschwand.
    Garth Diamandis sah seiner Wohltäterin nach. Er war ähnlich verwirrt wie damals vor
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