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Seelensturm

Seelensturm

Titel: Seelensturm
Autoren: Any Cherubim
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am heutigen Trainingstag alle Kämpfe gewonnen. Es frustrierte sie und das konnte ich verstehen.
    Ein Handtuchturban thronte auf ihrem Kopf, während sie, nur in Unterwäsche bekleidet, mich keines Blickes würdigte, als ich die kleine Umkleide betrat.
    »Amy! … Was soll ich denn tun? … Es tut mir Leid«, versuchte ich es, doch sie ignorierte mich und zog den grauen Schleier, der sie umgab, mit in die kleine Nische. Sie legte ihre Haarbürste an die Seite des Waschbeckens und schloss den Fön an. Herrisch bürstete sie ihr Haar, bis sie schließlich den Fön einschaltete, sodass eine weitere Unterhaltung nicht möglich war.
    Achselzuckend ging ich duschen und ließ sie einfach stehen. Sie würde sich schon wieder einkriegen, denn schließlich wusste ich, dass nicht ich ihr Problem war.
    Das warme Wasser tat meinen verspannten Muskeln gut und ich genoss den Wasserstrahl auf meinen Schultern, der sich wie eine Massage anfühlte. Mr. Chang hatte uns durch die ganze Halle gejagt. Selbst als ich glaubte, ein Sauerstoffzelt zu brauchen, hatte er kein Erbarmen mit uns. Immer wieder holte er aus uns Mädchen das Beste heraus. Er schaffte es, uns zu motivieren und gleichzeitig strahlte er so viel Ruhe und Sicherheit aus, dass es mir leicht fiel, mich auf ihn einzulassen. Am liebsten meditierte ich mit ihm. Anfangs sah ich keinen Sinn darin, im Schneidersitz völlig ruhig auf dem Boden zu sitzen. In der Zeit wären mir tausend Dinge eingefallen, die ich hätte erledigen können. Doch Mr. Chang konnte mir helfen, mich völlig zu entspannen und ein erweitertes Bewusstsein zu schaffen, das ich selbst nicht für möglich gehalten hatte. Auch wenn Amy das anders sah, hatte sie selbst einmal zugegeben, dass sie besser schlafen konnte, seit Mr. Chang uns trainierte.
    Ich hatte gar nicht mitbekommen, wie Amy den Fön ausgeschaltet hatte. Eine Tür war leise ins Schloss gefallen, als ich aus der Dusche kam. Schnell trocknete ich mich ab und zog mich an, nahm meine Sachen und lief aus der Halle.
    Es war schon fast dunkel, als ich unsere kleine, private Sportanlage verließ. Zweihundert Meter vor mir lag unsere Villa. Ein kleiner Schotterweg führte direkt zum Haus. Ich rannte am Tennisplatz vorbei und hatte Amy fast eingeholt.
    »Jetzt warte doch«, rief ich ihr hinterher. Und tatsächlich blieb sie stehen, drehte sich aber nicht zu mir um. Stumm bot sie mir ihren Arm an, in den ich mich einhaken sollte. Es war ihr halbes Friedensangebot und ich nahm es erleichtert an. Ihr grauer Rauch war verflogen.
    »Es tut mir leid, Jade.«
    »Ich weiß, aber sieh mal, Mr. Chang will, dass du gut wirst. Es ist sein Job. Außerdem will er, dass Onkel Finley mit dir zufrieden ist. Und ich will das auch.«
    Beschämt senkte sie ihren Kopf. »Ich werde niemals so gut sein wie du, Jade. Du bist so talentiert. Du kannst das alles auf Anhieb. Ich dagegen muss mich für jede Übung abrackern. Ich bin nicht du«, meinte sie resigniert.
    Da hatte sie recht. Sie war nicht ich und der Kampfsport war nicht ihr Ding. Dennoch könnte sie mit mehr Biss und Ehrgeiz gleiche Ergebnisse vorweisen, wenn Onkel Finley sie nur auch so antreiben würde wie mich. Doch stattdessen ignorierte er ihre mangelnde Disziplin.
    »Soll ich dich das nächste Mal gewinnen lassen?« Abrupt blieb sie stehen und sah mich empört an.
    »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Mr. Chang dir das abkauft? Das merkt er doch sofort. Außerdem ... was habe ich davon? Ich habe einfach keine Lust mehr. Seit zehn Monaten plage ich mich mehrmals in der Woche ab und das nur, weil wir es ihm versprochen haben«, beschwerte sie sich.
    Ich sah in ihr Gesicht. Wieder einmal ließ sie mich an ihrem Gemütszustand nicht teilhaben.
    »Ich verstehe einfach nicht, warum das Training für Onkel Finley so wichtig ist. Und überhaupt, ich finde, er sollte uns mehr Freiheiten lassen. Schließlich werden wir in ein paar Wochen achtzehn.«
    Ich konnte sie gut verstehen. Onkel Finley ließ uns wirklich nicht viel Freiraum.
    »Wir könnten mit ihm reden. Vielleicht sieht er es ein und lockert seine Regeln ein wenig. Komm!« Ich zog sie weiter. »Ich habe Hunger. Agnes hat bestimmt etwas zu essen für uns.«
    Wir lebten, seit ich denken konnte, schon immer bei unserem Onkel Finley. Genauer gesagt, seit wir 7 Monate alt waren. Er war der jüngere Bruder unseres Vaters. Wir wussten nicht viel über unsere Eltern. Dieses Thema schien ein wunder Punkt für unseren Onkel zu sein. Er sprach nicht gerne darüber, wobei er
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