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Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)

Titel: Seele zum Anbeißen: Roman (German Edition)
Autoren: Irene Zimmermann
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jetzt vor mir stehst, Dorle ... nach so langer Zeit.«
    »Ja klar ... doch ja«, stottere ich, »ehm ...«
    »Du kommst also direkt aus Berlin«, hilft er mir weiter, als ich verstumme. Er lächelt dabei, und leider macht mich das noch kribbeliger.
    »Ach so, ja, Berlin«, wiederhole ich und stelle fest, wenn ich ihm nicht direkt in die Augen schaue, geht es besser. Und es klingt schon wieder relativ entspannt, als ich hinzufüge: »Na ja, normalerweise hätte ich die lange Fahrt ja auch nicht gemacht, aber meinem Vater geht es nicht so gut. Ich hoffe, dass in zwei, drei Tagen alles geregelt ist.« Ich lache, aber eigentlich ist mir gar nicht danach zu Mute, wenn ich an das denke, was mich womöglich in Aulendorf erwartet.
    Außerdem überlege ich krampfhaft, wie ich am besten zu Rudolf überleite, der mir gerade siedend heiß eingefallen ist. Am besten wird sein, wenn Uli gleich mal darüber informiert wird, wie es bei mir beziehungsmäßig ausschaut – vorsichtshalber, falls er glaubt, er könne an alte Zeiten anknüpfen. Er scheint nicht verheiratet zu sein, jedenfalls entdecke ich nichts, das darauf hindeuten könnte. Aus den Augenwinkeln mustere ich ihn nochmals, dann strecke ich ihm die Hand entgegen. »Also, war wirklich toll, dich zu treffen. Aber jetzt muss ich los! Rudolf wartet am Bahnsteig auf mich.«
    Er nimmt meine Hand und meint: »Rudolf? ... Du hast einen Hund?«
    »Nein! Wie kommst du denn darauf? Rudolf ist mein Lebensgefährte!«, rufe ich ehrlich empört. Und weil mir einfällt, dass Uli früher tatsächlich einmal einen Schäferhund hatte, der Rudolf hieß, füge ich vorsichtshalber hinzu: »Es mag zwar Fälle geben, in denen ein Hund zum Lebensgefährten wird, aber bei mir trifft das nicht zu. Rudolf ist ein Mann! Und was für einer! Mein Traummann! Sozusagen!« Das, so finde ich, sollte reichen.
    Und es scheint auch zu wirken. Jedenfalls lässt Uli nach kurzem Zögern meine Hand los. Irre ich mich, oder klingt seine Stimme tatsächlich enttäuscht, als er meint: »Na dann, alles Gute für dich und deinen Traummann. Sozusagen!«
    Als Uli in der Menge verschwunden ist, fällt mir ein, dass dieses merkwürdige Gefühl in meinem Bauch vermutlich gar keine Schmetterlinge sind. Es könnte sich nämlich auch um ganz banale Hungergefühle handeln. Ich beschließe, entgegen der Regeln, die ich bei Helen gelernt habe, nicht tief durchzuatmen, sondern einfach meiner Nase zu folgen.
    Und ich habe Glück! Und natürlich auch einen phänomenalen Geruchssinn, den ich bei einem meiner vielen 400-Euro-Jobs entwickelt habe (Parfümerie
Wild wild Roses
, Wilmersdorf. Achtung: beschäftigt inzwischen nur Personal mit ausgeprägter Kundenabwehrhaltung, deshalb unbedingt meiden!). Ich steure auf den Stand zu mit dem verheißungsvollen Schild
Original Schwäbische Spezialitäten
und leiste mir gleich drei Leberkäswecken, noch handwarm, von einer Verkäuferin mit dem urschwäbischen Namen Gülay liebevoll in eine Thermotüte verpackt.
    »Wellet Se sonsch no ebbes?«, begehrt sie zu wissen. »Mr hend au no Sonderagebote. Wellet Se amol gucke?«
    Ja, ich will! Und wie! Und ich werde prompt schwach. Springerle sind zwar Weihnachtsgebäck und jetzt ist Hochsommer, aber was soll’s! Das Leben ist kurz, und ein Kilo mehr oder weniger am Bauch und an den Hüften fällt bei mir inzwischen auch nicht mehr auf.
    Als ich kurze Zeit später die Treppe zum Gleis sieben hochstürme, habe ich die ersten beiden Leberkäswecken bereits vertilgt, im Wechsel mit den Springerle, die aber leider nicht so geschmeckt haben, wie es mir die Erinnerung vorgegaukelt hatte. Na, macht nichts!, denke ich und wische mir den Mund ab. Satt bin ich jedenfalls, und falls Rudolf keinen Appetit hat, dient der letzte Weck eben als Wegzehrung für mich. Denn wer weiß, welche Überraschungen die Bahn auf den letzten Kilometern noch für uns bereithält.
    Und die erste Überraschung ist schon da. Kein Mensch mehr auf dem Bahnsteig! Ich will mich schon aufregen, da schaue ich nochmals genauer hin und sehe Rudolf immer noch brav auf seiner Bank sitzen. Beruhigend, finde ich, aber nur so lange, bis ich näher komme und erkenne, dass da noch jemand ist. Entsetzt bleibe ich stehen.
    Uli!
    Mein erster Gedanke: Flucht! Nur schnell weg, aber dazu ist es zu spät, denn Rudolf hat mich bereits entdeckt, winkt mir freudig zu und brüllt über den ganzen Bahnsteig: »Na endlich, da bist du ja wieder!«
    Zum ersten Mal auf unserer langen Reise scheint er blendender
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