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SdG 04 - Die eisige Zeit

SdG 04 - Die eisige Zeit

Titel: SdG 04 - Die eisige Zeit
Autoren: Steven Erikson
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erstreckte sich eine ebene Fläche, die in einer halben Länge Entfernung an einer Kammlinie endete.
    Sie konnte es zwar nicht sehen, aber sie wusste, dass auf der anderen Seite des Kamms das Land zum Meer hin abfiel. Auf der Ebene selbst erhoben sich eine Reihe ebenmäßiger kleiner Buckel, und die Knochenwerferin blieb stehen, um sie zu mustern. Die Erdhügel bildeten konzentrische Kreise, und im Zentrum befand sich eine größere Kuppel – alles von einem Mantel aus Lava und Asche bedeckt. Die Ruine eines zerstörten Turms erhob sich am Rand der Ebene, am Fuß der ersten Hügelreihe. Schon als sie das erste Mal hier gewesen war, hatte sie bemerkt, dass diese Hügel viel zu gleichmäßig waren, um natürlichen Ursprungs zu sein.
    Die Knochenwerferin hob den Kopf. Die sich miteinander vermischenden Ausdünstungen waren unverwechselbar – die eine alt und tot, die andere … nicht ganz so alt. Der Junge bewegte sich unruhig auf ihrem Arm, wachte aber nicht auf.
    »Oh, ja«, murmelte sie. »Du spürst es auch, nicht wahr?«
    Sie umging die Ebene und hielt auf den geschwärzten Turm zu.
    Das Tor zum Gewirr befand sich direkt hinter dem mitgenommenen Bauwerk; es hing in einer Höhe, die etwa sechsmal ihrer Körpergröße entsprach, über ihr in der Luft. Für sie sah es aus wie eine rote Strieme – etwas, das verwundet worden war, aber nicht mehr blutete. Sie konnte nicht genau erkennen, um welches Gewirr es sich handelte; die alte Verletzung verschleierte die charakteristischen Eigenschaften des Portals. Ganz kurz beschlich sie ein leichtes Unbehagen.
    Die Knochenwerferin setzte die Kinder beim Turm ab und hockte sich dann selbst auf ein Stück umgestürztes Mauerwerk. Ihr Blick fiel auf die beiden noch immer im Schlaf zusammengerollten Jaghut-Kinder, die in ihrem Bett aus Asche lagen. »Was habe ich denn für eine Wahl?«, flüsterte sie. »Es muss Omtose Phellack sein. Es ist ganz sicher nicht Teilann. Und Starvald Demelain? Nein, das ist unwahrscheinlich.« Ihre Blicke richteten sich auf die Ebene; erneut musterte sie die konzentrischen Erdhügel mit zusammengekniffenen Augen. »Wer hat hier gehaust? Welche Wesen außer uns und den Jaghut hatten die Angewohnheit, Häuser aus Stein zu bauen?« Sie schwieg längere Zeit, richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder auf die Ruine. »Dieser Turm ist der letzte Beweis, denn er ist ganz eindeutig von einem Jaghut erbaut worden, und niemand würde ein solches Bauwerk in nächster Nähe zu einem feindlichen Gewirr errichten. Nein, das Tor ist Omtose Phellack. Es kann gar nicht anders sein.«
    Natürlich gab es noch weitere Risiken. Ein erwachsener Jaghut, der sich in dem Gewirr aufhielt und auf zwei Kinder stieß, die nicht von seinem Blut waren, könnte sie ebenso gut töten wie adoptieren. »Aber dann klebt ihr Blut an anderen Händen, an den Händen eines Jaghut.« Doch dieser feine Unterschied war nur ein billiger Trost. Es ist nicht von Bedeutung, wer von euch uns tötet, nur dass ihr uns tötet. Die junge Frau stieß zischend den Atem zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Was habe ich für eine Wahl?«, wiederholte sie noch einmal.
    Sie würde sie noch ein bisschen länger schlafen lassen. Und dann würde sie sie durch das Tor schicken. Ein paar Worte an den Jungen – pass auf deine Schwester auf; die Reise wird nicht lange dauern. Und noch ein paar an sie beide – eure Mutter wartet auf der anderen Seite auf euch. Eine Lüge, aber sie würden Mut brauchen. Und wenn sie euch nicht finden kann, wird jemand von ihrer Verwandtschaft es tun. Geht jetzt. Ihr seid in Sicherheit. Ihr seid gerettet.
    Was könnte schließlich schlimmer sein als der Tod?
     
    Sie stand langsam auf, als die Jäger sich näherten. Pran Chole prüfte die Luft, runzelte die Stirn. Die Jaghut hatte ihr Gewirr nicht geöffnet. Und was noch beunruhigender war: Wo waren ihre Kinder?
    »Sie begrüßt uns vollkommen ruhig«, murmelte Cannig Tol.
    »Ja, das tut sie«, stimmte der Knochenwerfer zu.
    »Ich traue dem Frieden nicht – wir sollten sie unverzüglich töten.«
    »Sie will mit uns sprechen«, meinte Pran Chole.
    »Es ist höchst gefährlich, auf ihren Wunsch einzugehen.«
    »Ich kann dir nicht widersprechen, Clanführer. Nur … was hat sie mit ihren Kindern gemacht?«
    »Kannst du sie nicht spüren?«
    Pran Chole schüttelte den Kopf. »Mach deine Speerwerfer bereit«, sagte er und trat ein paar Schritte vor.
    In den Augen der Jaghut lag ein friedlicher Ausdruck, eine so eindeutige
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