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Schwere Wetter

Schwere Wetter

Titel: Schwere Wetter
Autoren: Hannes Nygaard
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zwischen deren schmalen Ritzen man auf das gurgelnde Wasser blicken
konnte, das etwa vier Meter unter dem Deck bei dieser Beleuchtung nur zu
erahnen war.
    Tsakalidis nickte
den anderen Fahrgästen zu. Man kannte sich von der gemeinsamen Benutzung der
Fähre. Oder man traf sich im Ort, grüßte, ohne dabei weitere Worte zu wechseln.
Die Wohnung der Familie nahe dem Lebensmittelmarkt war zudem prädestiniert
dafür, dass man zahlreichen Bewohnern des Ortes begegnete.
    Es ertönte das
Signal, das die Abfahrt der Fähre ankündigte und in das sich der etwas andere
Ton der Warnung mischte, mit dem das Herabsenken der Schranke auf Land
begleitet wurde.
    Mit einem leichten
Ruck setzte sich die Schwebefähre fast lautlos in Betrieb und überquerte den
Kanal, der mit etwa einhundert Metern Breite hier die engste Stelle seines
gesamten Verlaufs aufwies. Große Schiffe konnten sich hier nicht begegnen.
    Tsakalidis zog den
Kopf zwischen den Schulterblättern ein. Mit zusammengekniffenen Augen sah er
nach links, wo hell erleuchtet die Kais des Rendsburger Kreishafens lagen und
im Scheinwerferlicht Kräne die Ladung von kleineren Frachtschiffen löschten.
Durch den Regenschleier hoben sich gegen die Lichtkuppel Rendsburgs, die sich
schwach vor dem dunklen Himmel abzeichnete, die hohen Silos der Getreide AG ab.
    Er sah nicht nach
oben. Wenn der Wind die Geräusche nicht davontrieb, konnte man manchmal das
Rumpeln der Züge hören, die vierzig Meter höher auf dem metallenen Viadukt den
Kanal überquerten.
    Die
Uferbeleuchtung des Kanals deutete die Konturen des Schifffahrtsweges an, der,
heute kaum wahrnehmbar, nach etwa zwei Kilometern einen sanften Bogen nach
links machte, um nach weiteren sechzig Kilometern an den Schleusen in
Brunsbüttel in die Elbe zu münden.
    Tsakalidis warf
einen Blick in Richtung des südlichen Ufers. Unwillkürlich blieb er bei einer
Welle haften, die die Fähre hinter sich herzog. Es sah aus wie ein Schiff, das
das Wasser teilte. Zunächst schenkte er dem Phänomen keine Aufmerksamkeit, bis
sein Auge erneut darauf fiel. Das konnte nicht sein. Die Schwebefähre war kein
Wasserfahrzeug und konnte auf der Kanaloberfläche keine Bewegung erzeugen.
Neugierig machte er ein paar Schritte bis zur hinteren Schranke und blinzelte
ins Wasser. Tatsächlich. Die Fähre zog ein Seil hinter sich her. Er folgte dem
Tau bis ans Ende.
    Es war, als hätte
ihn der Schlag getroffen. Trotz der fast alles verschlingenden Dunkelheit waren
die Konturen eines Menschen ersichtlich. Tsakalidis rieb sich die Augen. Nein!
Das Bild verschwand nicht. Die Schwebefähre zog einen Körper hinter sich her,
der mit einem Seil an dem Fahrzeug befestigt war.
    In diesem Moment
verringerte sich unmerklich das Tempo der Fähre, und kurz darauf stieß sie mit
einem leichten Ruck ans Ufer. Automatisch hakte sich der Haken des
Schwebepontons an der Halterung an Land ein und verriegelte sich.
    Das gelbe
Blinklicht ging an, die Schranke wurde geöffnet, und die Ampel sprang von Rot
auf Grün und gab die Ausfahrt frei.
    Noch einmal beugte
sich Tsakalidis über den rot-weißen Balken auf der Wasserseite. Jetzt war
nichts mehr zu sehen.
    Er zitterte vor
Aufregung. Es waren nicht das unwirtliche Wetter, Wind und Regen, die ihn
frösteln ließen. Er versuchte, dem Maschinisten, der hoch oben über Deck in
seinem achteckigen Fahrstand saß, ein Zeichen zu geben. Aber der Mann sah ihn
nicht, sondern konzentrierte sich auf die Entladung.
    Tsakalidis
überquerte das Deck und stieg beherzt die steile Leiter zur Brücke empor. Mit
beiden Händen klammerte er sich am Geländer fest und achtete darauf, dass er
auf den regennassen Sprossen nicht abrutschte. Endlich hatte er das kleine
Brückendeck erreicht und klopfte an die Tür. Der Schwebefährenführer zuckte
zusammen und erschrak. Fast böse kam er zur Tür und öffnete sie.
    »Das Betreten ist
streng verboten –«, begann er, wurde aber von Tsakalidis mit einer Handbewegung
unterbrochen.
    »Da hängt einer am
Seil hinter der Fähre«, stammelte der Grieche.
    »Wo?«, fragte der
Mann von der Besatzung und schob gleich hinterher: »Das kann nicht sein.«
    »Doch, ich bin mir
ziemlich sicher.«
    »Ganz bestimmt?«,
fragte der Maschinist.
    Tsakalidis nickte
heftig. »Ich bin mir ziemlich sicher. So sehr kann ich mich nicht täuschen.«
    Der Mann von der
Fähre griff sich seine wetterfeste Jacke, schnappte sich eine Taschenlampe und
folgte Tsakalidis auf das Brückendeck.
    »Rückwärts
runter«, rief er
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