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Schwarze Stunde

Schwarze Stunde

Titel: Schwarze Stunde
Autoren: Christine Feher
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Haus scheint alles still zu sein. Eilig greife ich nach meiner Jeans, die über einem Stuhl liegt, und schlüpfe hinein, meine Jacke und Schuhe stehen im Garderobenraum am Haupteingang; Mr und Mrs Lewis haben uns gebeten, das Haus nicht mit Straßenschuhen zu betreten. Corvin eilt mir auf Strümpfen voraus, gewiss für den Fall, dass irgendjemand wach wird, so werden wir nicht zusammen gesehen. In der Garderobe schlüpfe ich in meine Sachen, Corvins Boots stehen nicht mehr dort, er hat sich wirklich beeilt, gut so, gut so. Leise kichere ich in mich hinein, diese Aktion hier ist so typisch für ihn, für uns; immer wieder finden wir einen Weg, auszubrechen aus allen Zwängen und unsere Liebe zu leben, verrückt und frei zu sein. Es ist so riskant, aber gerade dafür liebe ich ihn.
    Als ich nach draußen trete, stelle ich fest, dass der Wind noch zugenommen hat und heulend um die Häuser pfeift, dafür hat es aufgehört zu regnen. Corvin steht mit dem Rücken zu mir halb hinter einem Kleintransporter versteckt, die Kapuze über den Kopf gezogen, auch ich setze meine auf, so friere ich weniger und werde nicht auf den ersten Blick erkannt. Meine Schritte knirschen auf dem Schotterweg, sosehr ich mich auch bemühe, lautlos zu gehen. Corvin winkt mich zu sich heran und geht erneut voraus, ich habe Mühe, mit ihm Schritt zu halten, wage es aber nicht, ihn zu rufen und um ein langsameres Tempo zu bitten, er weiß, was er tut, ich vertraue ihm, Hauptsache er ist da, in meiner Nähe. Sobald wir den Platz erreicht haben werden, den er mit mir aufsuchen will, können wir uns endlich in den Armen liegen, ich verbrenne fast vor Sehnsucht, endlich seine Wärme zu spüren in dieser feuchten Kälte und nach diesem schrägen Abend, vielleicht hat er auf dem Weg zum Pub bereits nach einer verschwiegenen Nische am Strand für uns gesucht oder einen Park entdeckt, in dem sich um diese Zeit niemand mehr aufhält. Ich habe keine Ahnung, wie spät es sein mag.
    Allmählich bekomme ich Seitenstiche und rufe leise seinen Namen, wir haben uns weit genug von der Herberge entfernt, niemand kann uns so schnell gefolgt sein, dass er uns jetzt noch auf den ersten Blick erkennen würde. Aber er scheint mich nicht zu hören, sondern biegt in einen schmalen Weg ein, der zur Steilküste hinaufzuführen scheint; wenig später taucht ein schmales Schild mit der Aufschrift Beachy Head vor uns auf. Leise lache ich in mich hinein, Corvin spinnt, denke ich; Frau Bollmann überredet er, nicht hierherzukommen, aber mit mir will er das Unmögliche wagen, trotz seiner Höhenangst; dort oben wird uns niemand vermuten. Wie hat er damals im Flugzeug gesagt: »Das Leben ist zu kostbar, um nur das zu tun, worin man sich vollkommen sicher fühlt. Man muss auch mal was wagen.«
    »Warte doch«, rufe ich hinter ihm her, aber er schüttelt den Kopf und stapft weiter, die kalte Luft brennt und sticht in meinen Lungen, die Schmerzen in der Seite sind inzwischen beinahe unerträglich. Ich falle zurück, der Abstand zwischen uns vergrößert sich, links und rechts von mir rauscht der Wind in den Büschen, ab und zu stoße ich gegen einen Stein und verliere beinahe das Gleichgewicht. Corvin ist nicht mehr zu sehen, warum wartet er nicht auf mich? Ich folge nur noch dem Weg, immer in der Hoffnung, ihn hinter der nächsten Kurve wiederzufinden. Ab und zu meine ich, seine Schritte zu hören, doch je höher ich gelange, desto lauter tost der Wind um meine Ohren, und unten rauscht die Brandung, beides zusammen verschluckt jedes Geräusch.
    Dann endlich bin ich oben angelangt. Über mir breitet sich der dunkelblaue Sternenhimmel aus wie ein glitzerndes Zeltdach und zu meinen Füßen ein Teppich aus nassem Gras; das muss er gemeint haben, dafür lohnt es sich, seine Furcht zu überwinden. Er steht bereits am Rand der Klippe, noch immer mit dem Rücken zu mir, und ich kann es nicht abwarten, mit ihm zusammen auf den Strand hinunterzuschauen, auf die umliegenden weißen Kreidefelsen, die ich von der Fähre aus Manuels wegen nicht sehen konnte und die sich jetzt in einem tollen Kontrast vom Nachthimmel und dem schwarzen, tosenden Meer abheben; den Wellen zuzusehen, wie sie mit schäumender Gischt brechen, um dann auf dem Strand auszurollen und im hellen Sand zu versickern. Erst jetzt bemerke ich, dass Corvin einen dicken Schal um seinen Mund und sein Kinn gezogen hat und seinen Kopf zusätzlich zur Kapuze mit einer Wollmütze schützt. Das hätte ich auch machen sollen, meinen Schal
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