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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod
Autoren: Harry Thürk
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die für die Gassenkinder von Wanchai typisch sind: sie hatte Dreck in die Bottiche einer Wäscherei geworfen, wie wir anderen auch, Ratten in Restaurants losgelassen, Kakerlaken-Wettrennen organisiert, Geldbörsen an Fäden ausgelegt, um Leute zu narren – alles das, was Erwachsene nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Später war sie eine der eifrigsten Tänzerinnen in »Sue’s Ballroom« gewesen und überhaupt nicht abgeneigt, eine Nacht zu verschenken, wie sie es nannte. Das ließ sich auch ganz gut arrangieren, weil ihre Mutter oft Nachtschicht im Hospital drüben in Kowloon hatte.
    Â»Es war eine schöne Zeit«, stellte sie jetzt ohne jegliche Anzüglichkeit fest. Ȇbrigens, der Highway ist sehr praktisch. Kommt von Wahiawa, im Zentrum der Insel und von der Westküste in Pearl City zusammen und läuft parallel zur Küste, etwas ostwärts über Waikiki hinaus bis nördlich vom Diamond Head. Eine wunderschöne Fahrt. Ich mache sie manchmal einfach so zum Spaß. Wenn du willst, rollen wir den ganzen Weg ...«
    Ich wollte. Genoß den Beton und die Palmen, aber auch den Blick auf schäumende Brandung und von Menschen wimmelnde Strände. Bis der Fahrer dann irgendwo an der Küste von Mauna Lua wendete, nach einer Weile in den Kapiolani Boulevard einbog, in die Kalakaua, an die ich mich auch noch schwach entsann als einen erstklassigen Flanierboulevard. Bis wir ganz plötzlich den teuersten Scherz der Inseln vor uns sahen, als der Wagen auf einem mit Lavagestein gepflasterten Parkplatz ausrollte: vor riesigen, zehnstöckigen Betonfronten stand wie ein verlorenes rosa Spielzeug das etwas mehr als sechzig Jahre alte Royal Hawaiian , eine Kombination aus Türmchen, Erkern, aus Dächern in den verschiedensten Ausformungen, Fenstern mit Schattenblenden, ineinander verschachtelt, altmodisch, verrückt und liebenswert. Wie ein Zwerg hockte es zwischen den grauen Neuzeit-Riesen, dem »Sheraton« und dem »Surfrider«. Ringsum Beton, mit einer Ausnahme, an der Südseite zog sich Hawaiis Legende, der Strand von Waikiki entlang, auch jetzt von einer unüberschaubaren Menge mit bunten Fetzchen bekleideter Sonnenanbeter überfüllt.
    Â»Waikiki«, sagte Laureen ironisch. »Der Traum, dessen Erfüllung Enttäuschung ist.«
    Mir waren überfüllte Strände aus Hongkong nichts Neues. Ich vermeinte, den Geruch von Sonnenöl zu riechen, Schweiß und Salz, den Lärm der tausend Transistoren zu vernehmen, die Rufe nach Eiscream oder dem außer Sicht gekommenen Söhnchen.
    Â»Da vorn, die Rasenfläche, die sich an den Strand anschließt«, machte mich Laureen aufmerksam, »dient den abendlichen Luaus. Stilecht aufgemacht. Wie die Ureinwohner mal gegessen haben sollen. Da kannst du in der Grube auf heißen Steinen gebratenes Schwein in dich hineinschaufeln, bis du nichts mehr reinkriegst ...«
    Â»Wenn das der alte Cook noch sehen könnte«, entfuhr es mir. Sie lachte, wie es mir schien nicht sehr gelöst, aber da konnte ich mich täuschen. Der Fahrer manövrierte das Auto unter großen Schwierigkeiten, die meist aus nackten Mädchenbeinen bestanden, in Richtung eines Parkcenters. Inzwischen erklärte mir Laureen, wieso Waikiki Waikiki heißt. Auf hawaiisch stehe das Wort etwa für wild ans Ufer schlagendes Wasser, und so sei das hier auch immer gewesen, eine Küste mit rauschender Brandung, bis jemand herausfand, daß es ein Platz sein könnte, um aus der Schönheit der Landschaft Geld zu schlagen. Woraufhin der Strand verbreitert wurde, damit die Wellen gesittet ausrollen konnten, und zum Schluß pflanzte man noch eine Menge neuer Palmen zwischen die alten. Die Hoteliers kamen. Da baute man das Royal Hawaiian , die Nobelherberge der betuchten Reisenden zwischen den beiden Weltkriegen. Rosa, so erklärte es mir Laureen, habe man das Gemäuer angepinselt, auch die gesamte Inneneinrichtung. Weil die Herren Missionare den Eingeborenen, die noch meist nackt herumliefen oder in blickfreundlichen Grasröcken, rosafarbene Büstenhalter und Slips verpaßt hatten, auf daß sie dem christlichen Herrn der Welt ansehnlich sein würden.
    Ich halte das heute noch für eine kulturhistorische Fehlentscheidung, vorausgesetzt das Gerücht, das mir Laureen übermittelte, stimmt. Aber Gerüchte haben ja immer etwas Boshaftes, besonders welche über Missionare.
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