Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarze Adler, weiße Adler

Schwarze Adler, weiße Adler

Titel: Schwarze Adler, weiße Adler
Autoren: Thomas Urban
Vom Netzwerk:
gegen den Vizeweltmeister, der somit schon in der Vorrunde ausgeschieden war. Der Bürgermeister von Murrhardt ließ nach dem Italien-Spiel die Festbeleuchtung einschalten, viele der Einwohner schwenkten weiß-rote Fahnen, als die Mannschaft ins Quartier zurückkehrte. Der sonst so nüchterne Górski berichtete auch Jahre später noch ganz gerührt davon: „So sehr freuten sich die Deutschen mit uns über diesen Erfolg.“ 12
    Bei der WM 1974 wurden die Finalisten erstmals nicht ab dem Viertelfinale im K.o.-System ermittelt, sondern in der 2. Finalrunde, die ebenfalls aus Gruppenspielen bestand. Polen kam in eine Gruppe mit Jugoslawien, Schweden und der Bundesrepublik. Górski und sein Trainerstab waren fest davon überzeugt, dass die Westdeutschen ihr Vorrundenspiel gegen die DDR mit Absicht verloren hätten. Wären sie Gruppenerster geworden, so hätten sie in der Zwischenrunde gegen Brasilien, Argentinien und die Niederlande antreten müssen. 13
    Der Spielplan sah vor, dass Deutsche und Polen erst im letzten Gruppenspiel der Zwischenrunde im Frankfurter Waldstadion aufeinandertrafen. Beide hatten ihre Spiele gegen die Jugoslawen und Schweden gewonnen. Da die Deutschen dabei das bessere Torverhältnis für sich verbuchen konnten, reichte ihnen ein Unentschieden, um ins WM-Finale zu kommen, während die Polen gewinnen mussten.
    Chaplin-Groteske mit Wasserwalzen
    Am Tag vor der Entscheidung reiste eine Delegation hoher Sportfunktionäre aus Warschau an, um der polnischen Mannschaft Grüße von Parteichef Edward Gierek zu überbringen und sie über den „politischen Aspekt“ des Spiels gegen die Elf aus dem „kapitalistischen Lager“ zu belehren. 14
    Eine halbe Stunde vor dem geplanten Anpfiff ging ein Wolkenbruch über dem Stadion nieder. Binnen weniger Minuten stand der Rasen

    Eine Pfütze und Berti Vogts stoppen den schnellen Robert Gadocha, Franz Beckenbauer und das Frankfurter Publikum sind nicht beunruhigt.
    völlig unter Wasser – das Waldstadion verfügte damals noch nicht über eine Drainage. Die Frankfurter Feuerwehr fuhr mit mehreren Löschzügen vor. Feuerwehrleute rollten hilflos Schläuche über das Spielfeld. Der Effekt war gering: Sie hatten keine Pumpen, um das Wasser vom Rasen abzusaugen.
    Der Schiedsrichter prüfte das Spielfeld und zog mit einem Kopfschütteln wieder ab. Längst hatte die Fernsehübertragung begonnen, aber das Spiel wurde noch nicht angepfiffen. Plötzlich, eine halbe Stunde nach dem geplanten Spielbeginn, liefen beide Mannschaften im strömenden Regen auf: die Deutschen ganz in Weiß, die Polen ganz in Rot.
    Doch Spielzüge kamen nicht zustande, der Ball blieb in den Pfützen liegen. Robert Gadocha, Grzegorz Lato und Kazimierz Deyna rutschten immer wieder aus. Die deutsche Abwehr um Franz Beckenbauer hatte dagegen leichtes Spiel, sie brauchte die Bälle nur aus dem Strafraum zu schlagen. Górski sagte dazu später: „Als ich mich auf der Bank für die Reservespieler setze, kommen mir ein paar hässliche Wörter über die Organisatoren über die Lippen, über ihre so gerühmte Organisation und Technik, derer sie sich bei jedem Schritt selbst preisen.“ 15
    Nur ganz selten kamen die Deutschen vor das polnische Tor. Die erste Halbzeit endete damit, dass Gadocha die deutsche Abwehr stehen ließ. Als er allein dem Tor Sepp Maiers zustrebte, pfiff der Schiedsrichter ab, was später Anlass zu Spekulationen in der polnischen Presse gab. Zu Beginn der zweiten Halbzeit wurde Bernd Hölzenbein im polnischen Strafraum gelegt, den fälligen Elfmeter führte Uli Hoeneß aus, doch Tomaszewski hielt. In der Kartei Górskis war nämlich verzeichnet, in welche Ecke Hoeneß bevorzugt schießt.
    Später wurde das Spiel flüssiger. Die Sonne war herausgekommen, die Pfützen hatten sich verlaufen. Die Polen waren drückend überlegen. Sie schossen zwölfmal gezielt auf das deutsche Tor, doch Sepp Maier war in Hochform und ließ keinen Treffer zu. Das Tor seines Clubkameraden Gerd Müller zum 1:0-Endstand stellte den Spielverlauf auf den Kopf. Ein Teil der polnischen Sportreporter hatte überdies Müller im Abseits gesehen.
    Im Bericht des „Przegld Sportowy“ klang deutlich die polnische Empörung über die Umstände der Partie an: „Wie in einer Chaplin-Groteske wurde mit zwei Walzen das Wasser vom Spielfeld
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher