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Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn
Autoren: Klaus Wanninger
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Fotoapparat wegsteckte und angestrengt ins Innere des Autos starrte, sich dann leise mit seinem Kollegen unterhielt. Beide Männer tauschten die Position, nun steckte Rauleder den Kopf durch die Öffnung, richtete sich dann kopfnickend wieder auf. Mit ernsten Gesichtern paddelten sie vorsichtig zurück.
    »Der ist ohne Zweifel tot«, sagte Rauleder, als sie das Ufer fast erreicht hatten, »sein Gesicht liegt vollkommen im Wasser. Wir dachten, ihr wollt es euch sicher ansehen, bevor wir ihn holen?«
    Braig nickte, ließ sich gemeinsam mit Neundorf auf das Boot helfen.
    »I bleib da«, erklärte Rössle, »vier Leut sind zu viel.«
    Der Kommissar kniete sich hin, versuchte auf dem schwankenden Untergrund Halt zu finden. Er fühlte sich an die leicht schaukelnden Vaporetti erinnert, in denen er in den letzten Tagen in Venedig mehrfach unterwegs gewesen war. Schon beim Einsteigen hatte man die sanfte Bewegung des Schiffes gespürt. Hatte es dann abgelegt und größeres oder belebtes Gewässer wie den
Canale di San Marco
oder die Lagune erreicht, war es in ein gleichmäßiges, rhythmisches Schwingen verfallen.
    Braig spürte nasse Kälte auf seiner rechten Hand, fühlte sich abrupt aus seinen Träumen gerissen. Der Mercedes war nur noch wenige Zentimeter von ihnen entfernt. Rauleder tauchte das Ruder mit kräftigen Stößen ein und steuerte auf die halb geöffnete Fahrertür zu.
    Der Mann war schon eine ganze Weile tot, das war sofort zu erkennen. Seine Glieder hingen steif im Wasser, das im vorderen Teil des Innenraums hin und her schwappte. Braig streckte sich vorsichtig vor, musterte den Körper des Toten. Er war schlank, nicht allzu groß, steckte in einem hellgrauen Anzug. Ursachen für sein Ableben waren nicht sofort zu erkennen. Erst als Braig seinen Kopf fast bis auf die Oberfläche der Brühe hinunterbeugte, bemerkte er die Zerstörung der rechten Gesichtshälfte. Er stützte sich an der Außenseite des Fahrzeugs ab, versuchte dies genauer zu betrachten. Sofort wurde ihm bewusst, was er da vor sich sah. Zu oft hatte er es schon vor Augen gehabt. Er wollte es nicht glauben, spürte, dass er zitterte. Er verlor den Halt, rutschte nach vorne weg. Wasser schwappte ihm ins Gesicht, an den Hals, rann kalt die Brust und den Rücken hinunter. Er drückte sich an dem Auto hoch, kam auf die Knie.
    »Und?«, fragte Neundorf, »was ist?«
    Er wischte sich die Flüssigkeit von der Stirn, rieb sich über Brust und Bauch. Er wollte es immer noch nicht glauben, brachte nur mit Mühe Worte hervor. »Rechts«, stammelte er, »sein Gesicht.«
    Neundorf beugte sich nach vorne, betrachtete den Toten, auch sie richtete sich nur langsam wieder auf. Braig sah, dass sie sehr bleich war. »Der wurde erschossen«, sagte sie leise.
    Er nickte, sah Rauleders zustimmende Miene. »Verrückt, was?«
    »Wer?«
    Braig wusste nicht, was er antworten sollte.
    Neundorf deutete auf den Innenraum des Fahrzeugs. »Versuchen wir es gleich?«, fragte sie.
    Rauleder hustete verlegen. »Wäre es nicht besser, wir übernehmen das?« Er deutete ans Ufer, wo Rössle mit dem Auspacken verschiedener Utensilien beschäftigt war.
    Braig nickte seinem Kollegen zu, drückte sich von dem Auto weg, um das Boot in Fahrt zu bringen. »Was ist mit dem Arzt? Habt ihr einen angefordert?«
    »Sofort«, erklärte der Techniker, »sobald wir den Toten entdeckt hatten.«
    Sie kletterten wieder an Land, warteten, bis Rössle und Rauleder den Mann aus dem Fahrzeug geborgen hatten. Der erste Eindruck, den sie von dem Toten gewonnen hatten, verfestigte sich jetzt vollends. Es handelte sich um eine schlanke, etwa 1,75 Meter große Person, vielleicht vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt, soweit das bei dem Zustand der Leiche zu beurteilen war. Er trug schwarze Schuhe mit auffallend hohen Sohlen und Absätzen, einen grauen Anzug und ein ursprünglich wohl weißes Hemd, das jetzt von einem schmutzigen Schleier überzogen war. Sein Gesicht war auf der rechten Seite im Bereich unterhalb der Schläfe stark deformiert, der Einschusskanal einer kleinkalibrigen Waffe deutlich zu sehen. Es gab wohl kaum einen Zweifel: Man hatte den Mann erschossen und dann mitsamt dem Auto ins Wasser katapultiert.
    Braig fand keine Zeit, sich noch länger über die verrückte Hinrichtungsart zu wundern, weil sich der Arzt in diesem Moment schwer atmend durch die Masse der neugierigen Gaffer kämpfte und direkt auf sie zukam.
    »Schönen guten Morgen, die Damen und Herren.« Dr. Martin Keil stellte seinen
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