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Schumacher, Jens - Deep

Schumacher, Jens - Deep

Titel: Schumacher, Jens - Deep
Autoren: Jens Schumacher
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ließ er sich mittreiben.
    Unter den bunten Sonnenschirmen, die die Verkaufsstände mit ihren schreienden und feilschenden Inhabern überschatteten, herrschte ein Wirrwarr aus unterschiedlichen Sprachen. Henry glaubte, Englisch, Deutsch, Französisch und Chinesisch herauszuhören, dazwischen Basa Jawa, die Landessprache, sowie einige ähnlich klingende Dialekte, von denen er annahm, dass es sich um Sundanesisch oder Balinesisch handelte. In den meisten der englischen und französischen Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, ging es um die Verkaufspreise irgendwelcher Souvenirs. Höflich, aber bestimmt schob er sich vorwärts.
    Etliche Minuten später lichtete sich die Menschenmenge, und Henry trat auf einen freien Platz hinaus. Er hatte den Tempel erreicht.
    Der Borobudur thronte auf einer weitläufigen, grasbewachsenen Ebene. Einzelne Urwaldriesen ragten am Rand empor und zeugten davon, dass dieser Teil der Insel einst vollständig von tropischem Dschungel bedeckt gewesen war. Während Henry auf den Steinkoloss zuschritt, versuchte er sich an das zu erinnern, was er auf dem Flug hierher in seinem Reiseführer gelesen hatte.
    Der größte Unterschied zwischen dem Borobudur und anderen Stufenpyramiden oder religiösen Stätten war die Tatsache, dass er keinen Eingang besaß. Im Innern gab es keinen Hohlraum, den man hätte betreten können. Allem Anschein nach hatten seine Erbauer einen Hügel mit Felsquadern aus Vulkangestein verkleidet, das war alles. Der Grund für dieses Vorgehen stellte Wissenschaftler ebenso vor ein Rätsel wie die exakte Funktion des Monuments.
    Vor Henry kam ein Treppenaufgang in Sicht, zu beiden Seiten von steinernen Löwen flankiert. Aus einer Skizze im Reiseführer wusste er, dass es auf jeder Seite der quadratischen Pyramide eine solche Treppe gab. Über sie konnte man die Galerien mit den Reliefs erreichen, die sich rings um den Tempel in die Höhe wanden.
    »… entspricht der Grundriss des Tempels der Form eines Mandalas«, ertönte unvermittelt eine durchdringende, von breitestem Texas-Akzent gefärbte Stimme ganz in der Nähe. »Seine Hügelform erinnert an den Weltenberg Meru, in der indischen Mythologie der Sitz der Götter.«
    Henry sah sich um und entdeckte einen Mann mit Schirmmütze und Sonnenbrille, der sich neben einem der beiden Steinlöwen in Positur geworfen hatte. Er hielt eine kleine runde Tafel in die Höhe, auf der die Zahl Fünf abgebildet war. Um ihn herum drängten sich ungefähr zwei Dutzend Frauen und Männer, die fasziniert an seinen Lippen zu hängen schienen, schussbereite Fotoapparate in den Händen.
    »Nachdem die Gläubigen in den Nebentempeln Candi Pawon und Candi Mendut gebetet und meditiert hatten«, fuhr der Fremdenführer stimmgewaltig fort, »betraten sie den Borobudur über den östlichen Treppenaufgang, um die heiligen Bildergalerien im Uhrzeigersinn abzuschreiten, dem Lauf der Sonne folgend. Wir wollen es ihnen nachmachen, meine Damen und Herren. Wenn Sie mir die Stufen hinauffolgen möchten?«
    Henry betrachtete die Reisegruppe genauer. Sie stammte unzweifelhaft aus Amerika – nahezu alle Teilnehmer waren stark übergewichtig, die Frauen trugen riesige Sonnenbrillen und noch riesigere Sonnenhüte, die Männer knallbunte Hemden, Shorts und dicke Sportschuhe. Unwillkürlich musste er grinsen. Als Kanadier hatte er nichts gegen seine kontinentalen Nachbarn, doch bei aller Sympathie war nicht zu leugnen, dass sich kaum eine Nation im Ausland so grausam kleidete wie Amerikaner. Sie rangierten auf der Skala der schlechtestgekleideten Touristen mindestens auf Platz zwei, direkt hinter den Deutschen.
    Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Nach kurzem Zögern schloss sich Henry an. Dr. Pelham würde eine ganze Weile brauchen, um das Auto abzustellen, und wenn er sich unauffällig in der Nähe der Touristen hielt, konnte er vielleicht die eine oder andere interessante Anekdote aufschnappen, die der texanische Fremdenführer zum Besten gab. Da der Tempel keinerlei Innenräume hatte, war es außerdem recht wahrscheinlich, dass er irgendwo auf den Terrassen auf das Forscherteam seines Vaters stoßen würde. Wie er aus dessen Mails wusste, waren hier kurz zuvor bislang unbekannte Inschriften entdeckt worden, zu deren Untersuchung Donald Wilkins vor knapp einer Woche mit einer hastig zusammengetrommelten Gruppe wissenschaftlicher Mitarbeiter aufgebrochen war.
    »Der Aufbau des Tempels lässt sich in drei Teile gliedern«, tönte der Texaner ein Dutzend Stufen über
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