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Schsch!: Ein Winterthriller (German Edition)

Schsch!: Ein Winterthriller (German Edition)

Titel: Schsch!: Ein Winterthriller (German Edition)
Autoren: Karen Rose
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so dass wir neben Ihnen grau und langweilig aussehen.«
    »Süße, in so einem Kostüm sieht jeder grau und langweilig aus. Ich hab damit rein gar nichts zu tun.«
    Kate kicherte, und die Spannung war gelöst. »Oh, wie wahr, wie wahr!«
    »Außerdem musste ich mich in Schale werfen. Ich gehe mit Joseph zum Lunch.«
    Special Agent Joseph Carter war der neue Leiter des VCET; sein Vorgänger, der bald in den Ruhestand gehen würde, hatte ihn selbst ausgesucht. Joseph war außerdem Daphnes … Nun ja, sie war nicht sicher, wie sie ihn nennen sollte. Wenn man fünfunddreißig war, schien das Wort »Freund« nicht mehr adäquat. Sie strebten beide eine dauerhafte Bindung an – eine Ehe, mit anderen Worten –, aber sie wollten nichts überstürzen.
    Im Augenblick reichte es, dass er in ihrem Bett schlief und sie in ihrem begehbaren Schrank eine ganze Abteilung für seine tristen schwarzen Anzüge und hässlichen Schuhe freigeräumt hatte.
    Kate beugte sich näher zu ihr. »Allen hier ist aufgefallen, wie nett Joseph in letzter Zeit mit seinen Leuten umgeht«, flüsterte sie verschwörerisch. »Also, was immer Sie tun, Süße, tun Sie es bloß weiter.«
    Daphne schoss das Blut in die Wangen, als sie unwillkürlich daran dachte, was sie und Joseph getan hatten. In mancher Hinsicht kam es ihr so vor, als würde sie ihn schon ewig kennen, obwohl sie erst ein paar Wochen zusammen waren. In anderer Hinsicht – im Bett zum Beispiel – war alles brandneu für sie.
    »Ich gebe mein Bestes«, versprach Daphne. Und noch ein bisschen mehr. »Ist er da?«
    »Ja.« Kate wurde abrupt wieder ernst. »Im Beobachtungsraum sechs. Sie sollen auch dorthin kommen.«
    Verblüfft runzelte Daphne die Stirn. Das war der Raum, in dem üblicherweise Kinder befragt wurden. »Wieso das?«
    »Warten Sie, bis wir dort sind, dann erfahren Sie es.«
    »Sie kommen mit?«
    »Ja. Und nur, um das klarzustellen: Ich war dagegen, Sie in diese Sache mit einzubeziehen, aber ich bin überstimmt worden.«
    »In was für eine Sache? Von wem überstimmt?«
    »In einen verdammt anstrengenden Fall, der mich seit vier Tagen auf Trab hält. Wissen Sie, ich bin zufällig derselben Meinung wie Ihr Chef. Aber meiner hat mich überstimmt. Joseph meint, Sie schaffen das. Aber vielleicht nehmen Sie Ihr Stallhandtuch lieber mit.«
    Montag, 23. Dezember, 12.30 Uhr
    »Sie ist so winzig«, murmelte Daphne, die vor der Scheibe stand. Das kleine Mädchen in dem Raum dahinter, das an dem Tisch in Kindergröße saß, war blond, hatte helle Haut und wirkte zart wie eine Fee aus einem Märchen. Sie saß vornübergebeugt und hielt den Kopf gesenkt. Ihre Hände waren bandagiert. Ihre ganze Haltung schrie Trauma.
    Eine Frau, vermutlich Sozialarbeiterin oder Therapeutin, saß bei ihr, malte ein Bild aus und plauderte fröhlich auf sie ein. Das Kind sah kein einziges Mal auf.
    Daphne musste nicht fragen, warum Joseph sie dabeihaben wollte. Sobald sie das Kind gesehen hatte, war sie gedanklich in einen anderen Verhörraum in eine andere Polizeizentrale zurückversetzt worden. Ein anderes Kind, andere Umstände, und doch in vieler Hinsicht dieselbe Situation. Auch damals war eine Therapeutin dabei gewesen, die ein Bild ausgemalt und fröhlich geplaudert hatte.
    Und wie das Mädchen heute hatte das Kind aus Daphnes Erinnerung kein einziges Wort hervorgebracht. Es hatte acht lange Monate gedauert, bis jenes Kind seine Sprache wiedergefunden hatte, und Jahre, bevor eine Art Heilungsprozess einsetzen konnte. Daphne musste sich räuspern. »Wie heißt sie?«, brachte sie heiser hervor.
    Joseph stand dicht neben ihr, und sie spürte seinen Arm an ihrem. »Wir haben keine Ahnung«, sagte er leise. Daphne wusste sehr gut, dass er sehr gut wusste, woran sie sich momentan erinnerte. Wie frisch die emotionalen Wunden waren und wie tief. Dass er sie bat, ihr eigenes Trauma nach allem, was vor kurzem geschehen war, noch einmal zu durchleben …
    Verlieh ihr Kraft. Und dafür liebte sie diesen Mann noch mehr, als sie es ohnehin schon tat. Joseph wusste, dass sie stark war, dass sie nicht verhätschelt werden musste. Er wusste, aus welchem Holz sie geschnitzt war.
    »Und wie nennt ihr sie?«
    »Angel«, antwortete er. »Sie trug eine Kette mit einem Engel als Anhänger, als man sie gefunden hat.«
    »Sie kann doch höchstens sechs Jahre alt sein.«
    Daphne war acht gewesen, als sie mit der fröhlich plappernden Therapeutin am Tisch gesessen hatte. Das war ein anderes Leben gewesen. Aber so fühlt
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