Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne
Autoren: John Harvey
Vom Netzwerk:
mal?«
    »Sie wissen es nicht mehr?«
    »Nein, ich weiß es nicht mehr.«
    »Martina«, sagte Will ruhig. »Martina Ellis Jones.«
    Roberts scharrte mit der Zehenspitze in der Erde. »Ich hab ihren Namen nicht gekannt.«
    »Aber Sie haben ihr Ihre Jacke gegeben.«
    »Ganz bestimmt nicht. Sie hat sie geklaut, das hab ich doch schon gesagt.«
    »Wann war das?«
    Roberts dachte darüber nach. »Muss inzwischen drei, nein, vier Tage her sein.«
    Will und Helen tauschten einen kurzen Blick aus.
    »Wie wär’s denn, wenn Sie uns erzählen, wie Martina zu Ihrer Jacke gekommen ist?«, sagte Helen.
    »Wollen Sie reinkommen?«, fragte Roberts und schlurfte ein wenig zur Seite. »Raus aus dieser Hitze. Ich hab Brause da oder ich kann Tee machen.«
    Weder Will noch Helen rührten sich von der Stelle.
    Roberts räusperte sich. »Sie sind immer mal vorbeigekommen, sie und ihre Brüder«, sagte er. »Manchmal noch ’n anderes Mädchen. Die sind über die Felder gelaufen.« Er zeigte auf eine schmale Lücke in der niedrigen Hecke, wo der Anfang eines Pfads sein mochte. »Zigeuner, fahrendes Volk, wie immer Sie die nennen wollen.« Er spuckte zu Boden. »Manchmal hatten sie Geld. Haben sie ihrer Mutter wahrscheinlich aus der Geldbörse geklaut. Dann haben sie sich ’ne Pepsi oder so gekauft. Hab einen von den Jungs mal erwischt, wie er sich einfach so zwei Marsriegel nehmen wollte, und hab ihm ’nen Tritt in den Hintern gegeben. Hab sie alle weggejagt. Hab ihnen gesagt, wenn einer von denen das noch mal macht, brauchen sie nicht mehr wiederzukommen.«
    »Und?«, fragte Will.
    »Was?«
    »Sind sie wiedergekommen?«
    »Nach ’ner Weile.«
    »Ist Martina jemals allein hierhergekommen?«, fragte Helen.
    Roberts schluckte und wischte sich mit der Hand über den Mund. »Hin und wieder.« Angesichts der Hitze war es keine Überraschung, dass ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief.
    »Zum Beispiel an dem Tag, an dem sie Ihre Jacke mitgenommen hat?«
    »Ja. Zum Beispiel.«
    »Erzählen Sie uns, was an diesem Tag passiert ist«, sagte Will.
    Roberts blinzelte, weil ihm Schweiß in die Augen gelaufen war. »Gibt nix zu erzählen. Ich hab so ziemlich den ganzen Nachmittag an ’nem Anhänger gearbeitet und bin dann ins Haus, um abzuwaschen, und da war sie.«
    »Im Haus?«
    »Nein. Sie saß da drinnen auf der Theke, frech wie Oskar, und aß ’n Twix. Ich weiß noch, was ich zu ihr gesagt hab, nämlich: Ich hoffe nur, dass du das bezahlst.«
    »Und hat sie?«
    »Oh ja.«
    »Sie hatte Geld?«
    »Wie hätte sie sonst bezahlen sollen?«
    Will sah ihn an. »Sie haben sie dann ins Haus mitgenommen?«
    »Warum hätte ich das tun sollen?«
    »Vielleicht, um die Jacke zu holen?«
    Roberts schüttelte den Kopf. »Die Jacke hängt immer an ’nem Haken direkt da drin.« Er zeigte in die Werkstatt, deren Tür offen stand. »Ich kann’s Ihnen zeigen, wenn Sie wollen.«
    »Später«, sagte Will.
    »Warum haben Sie ihr die Jacke gegeben?«, fragte Helen.
    »Ich hab ihr das verdammte Ding nicht gegeben. Hab ich doch schon gesagt. Sie hat sie genommen, als ich gerade nicht hingesehn hab, und is’ damit weggerannt. So war das.«
    »Und warum hat sie das getan?«
    »Woher soll ich das wissen? Die sehen was, das sie nehmen können, und weg is’ es. Sie kennen doch deren Sorte.«
    »Deren Sorte?«
    »Sie wissen, was ich meine.«
    »Vor vier Tagen war es doch ziemlich heiß?«, sagte Will eher beiläufig.
    »Würd ich sagen.«
    »So heiß wie heute?«
    »Ungefähr.«
    »Trotzdem hat sie Ihre Jacke genommen, eine schwere Jacke für Erwachsene. War das nicht sinnlos?«
    »Wie gesagt, wenn was nicht festgenagelt is’   …«
    »Hören Sie«, sagte Helen und fixierte ihn mit ihrem Blick, »lassen Sie sich was Besseres einfallen.«
    »Ich versteh nicht, was Sie meinen.«
    »Sie verstehen nicht, was ich meine? Als das Mädchen gefunden wurde, lief sie kopflos und völlig verängstigt durch die Gegend, und außer Ihrer Jacke trug sie nichts. Sie war nackt. Splitterfasernackt.«
    »Davon weiß ich nix.«
    »Sie glauben nicht, dass sie Ihre Jacke deshalb genommen hat? Um sich zu bedecken? Nach dem, was passiert war?«
    Roberts umklammerte sein Bein noch fester.
    »Was haben Sie mit ihren Kleidern gemacht?«, fragte Will. »Haben Sie sie verbrannt? Irgendwo ein Feuer gemacht? Oder sind sie immer noch im Haus?«
    »Hören Sie«, sagte Roberts, »ich weiß gar nicht, wieso   …«
    »Souvenirs«, sagte Helen. »Nennen Sie das nicht so? Das mögen Sie doch?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher