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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse
Autoren: Gaby Hoffmann
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gelaufen. Sie hat nichts und ist niemand. Das Studium ist stinklangweilig, und nun müsste sie dort zu allem Überfluss auch noch jeden Tag Peer und dieser dämlichen Louisa über den Weg laufen. Es ist alles aus!
     
    Linda sitzt in ihrer Küche und trinkt Tee. Bis auf das Ticken der altmodischen Wanduhr ist es still. So still. Normalerweise lässt sie den ganzen Tag den Fernseher laufen, damit immer eine Geräuschkulisse um sie herum ist. Aber heute erträgt sie das nicht. 
    Das Telefon schweigt seit vielen Tagen. Der letzte Anruf stammte aus einem Callcenter. Man wollte ihr ein Zeitschriftenabo aufschwatzen. Als Linda jedoch die Gelegenheit ergriff, die muntere Dame am anderen Ende in ein privates Gespräch zu verwickeln, wurde diese plötzlich einsilbig und legte auf. 
    Normalerweise läuft so etwas andersherum, nur bei mir nicht , denkt Linda bitter. 
    Sie fröstelt, dreht die Heizung höher. Ständig ist ihr kalt. Sie hat zu wenig auf den Rippen, ist dünn wie ein Stock. Kein Wunder, sie isst kaum noch etwas. Alleine schmeckt ihr nichts. Früher hat sie hier zusammen mit ihrer Mutter gesessen. Es war nicht immer einfach mit der alten Dame, aber zumindest war jemand zum Reden da. Nun ist ihre Mutter schon seit zwei Jahren tot. 
    Manchmal denkt sie an ihre Zeit im Büro zurück. Sie war gut, richtig gut im Job. Das gab ihr Selbstvertrauen. Die Kollegen mochten sie. Linda war beliebt. Nach Feierabend unternahm sie hin und wieder etwas mit Marita und Sonja. Und Herr Wagner aus der Buchhaltung machte ihr regelrecht den Hof. Aber Linda hatte sich um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern müssen, da blieb nicht viel Zeit für andere Menschen. 
    Herr Wagner war einige Jahre älter als sie und ist inzwischen verstorben. 
    Marita ist zu ihrer Tochter nach Berlin gezogen und mittlerweile so schwerhörig, dass jedes Telefonat mit ihr eine Tortur ist. 
    Sonja hatte schlagartig den Kontakt abgebrochen, nachdem Linda in Rente gegangen war. Irgendwann, als Sonja sich zum wiederholten Male am Telefon verleugnen ließ, kapierte Linda, dass es der jüngeren Kollegin vorrangig darum gegangen war, von ihrem beruflichen Fachwissen zu profitieren.   
    Der Tee ist inzwischen kalt und schmeckt schal. Genau wie ich , denkt Linda.
    Sie schüttet den Tee in den Ausguss.
    Niemand braucht mich mehr. Wenn ich mit den Leuten reden möchte, laufen die davon, sie sind genervt, angeekelt ... Linda sieht Nettys wütendes Gesicht vor sich, aus dem sie vorhin wortwörtlich ablesen konnte: Hau ab, du alte Nervensäge!
    Linda seufzt. Wie schön muss das sein, wenn man so gebraucht wird, wie ihre Nachbarin! Zwei reizende, kleine Kinder und ein netter Ehemann. Dazu noch ein Haufen Freunde und weitere Familienmitglieder, die sie häufig in die Wohnung gehen sieht. Niemals alleine sein, immer ist jemand da, mit dem man sich unterhalten, lachen, weinen und sogar ... Ja, Linda traut es sich ja kaum, es zu Ende zu denken: Jemand, mit dem man Zärtlichkeiten, Berührungen austauschen kann. Einfach nur mal in den Arm genommen zu werden, es gibt nichts, wonach sich Linda mehr sehnt. Und doch ist dies so unwahrscheinlich, als wenn Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen würden.
    Weihnachten? Lindas Blick bleibt auf dem Kalender neben dem Kühlschrank hängen. Nur noch eine Woche bis Heiligabend. Für sie wird es ein Tag wie jeder andere werden.
    NEIN! Lindas Lippen formen das Wort, ohne es laut auszusprechen. Sie nimmt das große Küchenmesser und ritzt quer in einen großen Brotlaib: NEIN!
     
     

Kapitel 2
     
    „Hier ist Ihre Terminliste!“, im Vorbeigehen drückt der Chefredakteur Netty einen Zettel in die Hand. 
    14 Uhr Einweihung der neuen Schulaula, 14:45 Uhr Interview mit dem Sprecher einer Bürgerbewegung gegen das Fällen von Pappeln, 15:30 Uhr Seniorengala in der Stadthalle, 17 Uhr Denkmalenthüllung, 18:15 Uhr Verkehrsausschuss ..., Netty geht die Termine im Kopf noch einmal durch. Moment, 18:15 Uhr? 
    Sie rennt in das Büro des Chefredakteurs. „Der Kindergarten schließt doch um 18 Uhr, um die Zeit muss ich die Kinder abholen.“
    Der Chef lehnt sich in seinem Ledersessel gemächlich zurück. „Kann das nicht Ihr Mann erledigen?“, fragt er gedehnt.
    Netty sieht schwarz, was diese Idee betrifft. Sie läuft in ihr Büro und ruft Ulf an. Zunächst erreicht sie ihn nicht. 
    Als sie ihn endlich sprechen kann, erklärt er, unmöglich vor 19 Uhr das Büro verlassen zu können.
    Netty weiß, dass es zwecklos ist, den Chef zu
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