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Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
Autoren: Holger Witzel
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mit den Jahren etwas Übergewicht dazu, ein typisches DDR-Syndrom, wo es zwar meist genug zu fressen, aber nie genug Auslauf gab. Rhani lebte gewissermaßen in einem Zoo innerhalb eines Zoos und wenn das alte Adorno-Zitat nicht schon zu oft missbraucht worden wäre, könnte man bei ihr wirklich von einem »richtigen Leben im falschen« sprechen: Über Jahrzehnte war sie unangefochten die Leitkuh der Leipziger Herde und zeichnete sich dabei, so der Zeitungs-Nachruf, »durch einen sehr geduldigen Charakter« aus. Mit eigenen Kälbern nicht gesegnet, kümmerte sie sich umso liebevoller um die der anderen, bis sie im Herbst ihres Lebens sogar noch eine kleine Fernsehkarriere als Komparsin bei Elefant, Tiger & Co. machte, der Mutter aller Zoo-Doku-Soaps – oder wie man in Leipzig gern betont: dem Original.
    Der Star an ihrer Seite war das 2002 geborene Elefantenbaby Voi Nam. Dessen Eltern Trinh und Mekong hatte Rhani auch schon großgezogen. Sie war eine typische Patchwork-Oma und ließ die Stänkereien des kleinen Bullen lange mit der gleichen Elefantengeduld über sich ergehen, mit der sie jeden Zickenkrieg unter den erwachsenen Kühen schlichtete. Als Voi Nam zu aufsässig wurde, brach ihm die Leitkuh in einer dramatischen Fernseh-Folge mehrmals die Stosszähne. Das kostete die superschwere Nanny zwar Zuschauer-Sympathie, gilt aber unter Elefanten als durchaus übliche Erziehungsmethode und hatte nichts mit Rhanis DDR-Sozialisation zu tun.
    Dann kam 2006, der Umzug in das neue Elefantenhaus, und alles war anders: Auf einmal gab es einen beheizten Innen-Pool, ungewohnt viel Freiheit, sogar einen Futterautomaten für nächtliche Zwischenmahlzeiten. Blühende Landschaften, wenn man so will, etliche Millionen investiert in Sand, Neid und Missgunst – kennt man alles. Und wie üblich widersprechen sich danach auch die zeithistorischen Quellen: Rhani habe die Umgewöhnung im neuen Elefantentempel »schneller als manches jüngere Tier bewältigt«, hieß es in einer Pressemitteilung des Zoos. Ele-Wiki dagegen, das Internet»Lexikon der Elefanten« behauptet, Rhani habe danach ihre Position als Leitkuh abgegeben. Gesichert ist nur, dass knapp drei Wochen nach Eröffnung der neuen Anlage zwei Elefantenkühe aus Hamburg in Leipzig eintrafen: Saida, 32, und ihre Tochter Salvana, 9, die den Namen eines Futtermittelherstellers aus Schleswig-Holstein trägt. Vermutlich würden Hamburger, wenn genug Geld im Spiel ist, ihre Kinder auch Ferrero oder Katjes nennen – doch wir wollen zum Andenken an Rhani einmal sachlich bleiben.
    Salvana, so hieß es damals, komme nur kurz auf »Hochzeitsreise« und kehre, sobald sie ein Kalb von Rhanis Ziehsohn Mekong erwarte, wieder nach Hamburg zurück. Aber das sagen alle und bleiben dann doch. Andere Quellen sprechen offen und gleichzeitig verlogen davon, dass die beiden Elefantendamen aus Hamburg »zu einer ausgewogenen Sozialstruktur beitragen« sollten, sobald Rhani als Leitkuh in den Hintergrund treten würde. Sobald, wohlgemerkt – bis sie kamen, war Rhani es noch.
    Dank Elefant, Tiger & Co. konnten Millionen Zuschauer bei der deutsch-deutschen Zwangsvereinigung im Elefantengehege zusehen. Sie wurden Zeugen, wie sich die Hamburger Kühe vom ersten Tag an aufspielten. Wie Saida dem äußeren Schein nach die Führung über-und Rhani eine halbe Tonne abnahm. Schon seit Jahren litt sie unter Abszessen an den Füßen. Nun bewegte sie sich kaum noch und wagte es bald nicht einmal mehr, sich zum Schlafen hinzulegen. Von wegen »ausgewogene Sozialstruktur«: Anders als die natürliche Autorität aus über 50 Jahren Lebenserfahrung bekam die neue Chefin nicht mal die Attacken der anderen Kühe gegen die kleine, bucklige Hoa in den Griff. Sie sah tatenlos zu, wie ihre Vorgängerin unter dem halbstarken Rüpel Voi Nam zu leiden hatte, der sich plötzlich wie ein Skinhead aus Hoyerswerda aufführte. Oft lehnte Rhani nur noch traurig in einer Ecke, um die entzündeten Beine zu entlasten, und sah noch zwei Jahre lang zu, wie andere ihr Lebenswerk zertrampelten. Trotz starker Schmerzmittel muss es eine einzige Quälerei gewesen sein, bis Tierärzte am Morgen des 13. Juni 2008 ihr Herz per Infusion für immer zum Stillstand brachten.
    Und wofür das alles? Rhanis Ziehsohn Mekong interessierte sich auch danach nicht für die Hamburger Kühe. An ihm lag es nicht: Seine Favoritin Trinh, die wie er seit DDR-Zeiten in Leipzig lebt, bestieg er regelmäßig und – wie es sein Pfleger Michael Tempelhoff in
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