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Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)

Titel: Schnauze Wessi: Pöbeleien aus einem besetzten Land (German Edition)
Autoren: Holger Witzel
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Sie richten sich gleichberechtigt gegen Rheinländer, Hessen, Bayern und Westfalen, ja sogar gegen Ost-Westfalen. Es geht um zugezogene Ego-Terroristen und ihre ungezogenen ADS-Kinder. Um Park- und Kindergartenplätze und um die letzten Omis, die nirgendwo ein Päckchen Kaffee bekommen, das nicht zu angeblich »fairen Preisen« gehandelt wird. Um asoziale Attitüden und ein alternatives Image, das sich einen Scheiß um die letzte alternative Kultur schert, die gerade geräumt, gekündigt oder von den neuen Wohnungseigentümern wegen zu lauter Gitarren verklagt wird. Nicht zuletzt geht es natürlich auch um meine Berliner Lieblings-Kneipe, für die ich hier aus guten Gründen keine Werbung machen kann. Immerhin bewahrt sie ihre räudige Identität nur noch mühsam mit einem Schild an der Tür, auf dem kategorisch »Kein Milchkaffee!« steht.
    Ein kleines Manko hat die Plakataktion trotzdem: Die Bekenner fehlen. Ich würde nämlich gern etwas spenden, mich nächstes Jahr selbst an der Kleister-Front melden oder ein paar Plakate mit nach Leipzig nehmen, wo es in manchen Gegenden auch überhand nimmt. So kann ich den Berliner Partisanen nur »Venceremos!« zurufen. Und allen anderen – wie immer – Schnauze!

»Erst haben wir den Sozialismus ruiniert,
jetzt ist der Kapitalismus dran.«
    Peter Sodann
     

Die Winterschlacht
     
    Das Tausalz wird knapp. In Afghanistan ist Krieg, aber niemand boykottiert die olympischen Winterspiele. Bin ich eigentlich der Einzige, dem das alles bekannt vorkommt? Ein Déjà-vu.
     
    Der Winter, so spottete der ostdeutsche Volksmund gern, zähle neben Frühling, Sommer und Herbst zu den größten Feinden des Sozialismus. Man hatte ja keine Vorstellung, wie anfällig auch äußerlich selbstbewusste Gesellschaftsordnungen für Schnee und Eis sind: Nach allerlei Katastrophen-Warnungen wird das aktuelle Wetter inzwischen zwar wieder als »normaler Winter« abmoderiert – aber der Müll trotzdem nur sporadisch abgeholt. Tausalz und Schlitten sind knapp. Züge stehen still. Mein schöner neuer Mercedes schafft es seit Wochen kaum noch aus der Parklücke …
    Und dennoch: Obwohl sich Autos aus Pappe notfalls allein anschieben ließen, würde ich niemals sagen, dass früher alles besser war. Viel schlimmer: Es war genauso. Dieser Winter ist eine Schande für die Demokratie – und das nicht nur wegen der Streugut-Mangelwirtschaft.
    Da spricht eine Bischöfin aus, was die Mehrheit im Land über den Krieg in Afghanistan denkt, und wird dafür heftiger angefeindet als Deutschland je von einem Taliban. Sie muss zum Rapport bei der Regierung antreten wie DDR-Kirchenführer in den achtziger Jahren, wenn deren Konfirmanden auf ihren Kutten »Schwerter zu Pflugscharen« forderten. Wie damals wird Afghanistan gerade mal wieder mit Bomben der gesellschaftliche Fortschritt beigebracht. Wie damals redet man zu Hause nicht offen von Krieg. Wie damals hat man einer befreundeten Supermacht bedingungslos zu folgen …
    Wie? Man kann das nicht vergleichen? Andere Zeiten, andere Prioritäten? Gut, ein paar Unterschiede gibt es: Zumindest offiziell hat die DDR in Afghanistan nicht mitgemacht. Fingerabzugsübungen wie vorher im Kosovo waren damals noch für alle Deutschen tabu. Und immerhin, auch das muss man zugeben, war der Einmarsch fremder Truppen in Afghanistan für den Westen 1980 noch Grund genug, die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren. Wäre aber zu schade für die nun gesamtdeutschen Biathleten, so kurz vor Vancouver. Allein die Taliban, so scheint es, bleiben sich treu.
    Leider kann man sich seine Erinnerungen nicht aussuchen, aber wahrscheinlich leiden viele ehemalige SED-Untertanen unter ähnlichen Déjà-vus. Unter den sprachlichen Verrenkungen, wenn einem »teilverstaatlichte« Banken oder »kriegsähnliche« Befreiungskämpfe vermittelt werden sollen. Wenn Tote und andere Kollateralschäden so lange geheim gehalten werden, bis es nicht mehr anders geht, und die Verantwortlichen die Verantwortung allein dadurch übernehmen, dass sie die Verantwortung abgeben. Nicht etwa wegen ein paar ziviler Opfer mehr oder weniger, sondern ausdrücklich nur wegen der »Informationspannen« danach. Honecker, so wissen wir heute, wollte die kleinen schmutzigen Details auch nie so genau wissen oder sie gingen auf dem Weg nach oben vorauseilend verloren. Und wenn eine Clique aus Politikern und Regierungsbeamten schon allein entscheiden will, was ihr Volk wissen darf und was nicht, warum dann nicht genauso
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