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Schnapsdrosseln - Kriminalroman

Schnapsdrosseln - Kriminalroman

Titel: Schnapsdrosseln - Kriminalroman
Autoren: Sabine Trinkaus
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Tonpapier zu basteln. Sie hatte sich gewundert, wie normal sich das anfühlte. Vielleicht war sie deshalb nicht auf den Gedanken gekommen, ihren Plan zu ändern. Einkaufen auf dem Heimweg. Äpfel und Milch, Käse und Kaffee, Marmelade. Marmelade stand nicht auf der Liste, die hatte sie vergessen aufzuschreiben, aber sie erinnerte sich daran, dass sie heute Morgen den letzten Rest aus dem Glas gekratzt hatte. Ganz normal eben.
    Sie hätte Norbert anrufen sollen. Wenigstens das. Immerhin war er ihr Mann, und die Sache betraf ihn. Es wäre sinnvoll gewesen, darüber zu sprechen. Sich abzustimmen, gemeinsam auf das vorzubereiten, was jetzt auf sie zukam. Aber sie wusste, dass das nicht funktioniert hätte. Sie hätten gestritten. Sie hasste es, am Telefon zu streiten.
    So konnte es nicht weitergehen.
    So würde es auch nicht weitergehen, dachte sie, denn er war tot, Bernd war tot. Das änderte alles.
    Sie hatte sich oft vorgestellt, wie sich das anfühlen würde. In ihrer Vorstellung war es anders gewesen. Befriedigender.
    Äpfel, Milch, Käse, Kaffee, dachte sie.
    Er hatte es verdient. Auch einer wie Bernd Nolden bezahlte irgendwann. So einfach war das.
    Sie lenkte ihre Schritte in Richtung Kühltheke. Ein leiser, aber hartnäckiger Schmerz meldete sich in ihrem Unterbauch. Auch das noch, verdammt, aber es passte, es passte so gut, dass ihr schlecht wurde. Sie straffte die Schultern, hob den Kopf ein wenig. Gesprächsfetzen drangen an ihr Ohr. »… unglaublich tragisch …«, hörte sie, »… entsetzliche Geschichte …«
    Milch und Käse, Gouda, vielleicht ein Camembert. Sie grüßte, nickte bekannten Gesichtern zu. Tat so, als merke sie nicht, wie man sie anstarrte. Dass die Münder zuklappten, die Sätze abbrachen, wenn man sie kommen sah. »… wirklich eine Tragödie …«
    Zwei Tüten Milch wanderten in den Wagen, eine Packung Schnittkäse, ein Camembert. No-Name-Produkte, sie sparte, wo sie konnte.
    Der Schmerz kehrte zurück, vertrauter, verhasster Unterleibsschmerz. Sie musste nach Hause, möglichst schnell. Sie brauchte eine Wärmflasche, vielleicht eine Tablette. Sie wollte allein sein, weit weg von diesen Regalen und den Gesichtern und den Stimmen.
    »… Polizei ermittelt …«, hörte sie. »Mord, ja, unvorstellbar, direkt vor der Haustür …«
    Sie starrte auf das Regal mit der Marmelade. Sah grellbunte Früchte auf den Etiketten, Hunderte Gläser, verschiedene Formen und Farben. »… Polizei …«, hämmerte es, »… ermittelt, Tragödie, unfassbar …«
    Ihre Hand, die sich in Richtung des Regals streckte, sank nach unten. Sie konnte sich nicht entscheiden. Er war tot, es war zu Ende, er hatte das verdient. Ihr wurde übel. Sie stützte sich schwer auf den Einkaufswagen, bekam langsam ihren Atem unter Kontrolle, während sie auf Äpfel und Milch und Käse und Kaffee starrte. Dann ließ sie alles stehen, den Wagen mitten im Gang, einfach so. Sie brauchte Luft. Viel dringender als Äpfel und Milch und Käse und Kaffee.
    Sie ignorierte die Gesichter der Wartenden, drängelte sich Entschuldigungen murmelnd an der Kasse vorbei und floh aus dem Supermarkt. Sie rannte fast zu ihrem Auto, das auf dem Parkdeck unter dem Ärztehaus stand. Sie fuhr zur Schranke, steckte mit zitternden Fingern das Ticket in den Automaten. Setzte den Blinker, automatisch, links, Mühlenbach, rechts, Lingsgasse, sie fuhr, automatisch, Provinzialstraße, den Bogen, den Umweg, wie immer, die Einbahnstraßen, sie bremste, fuhr an, blinkte, rote Ampel, rechts, Frechengasse, fast da, dachte sie, gleich geschafft.
    Als sie eben in die kleine Sackgasse einbiegen wollte, raste Norberts Auto an ihr vorbei. Sie bremste scharf, der Motor erstarb. Sie saß da und sah im Rückspiegel, wie der klapprige weiße Astra davonfuhr.
    Eine Frau stürmte in den winzigen Vorgarten. Durch die Haustür, ihre Haustür, in den Garten, ihren Garten. Sie gestikulierte wild mit der linken Hand, rief etwas, das man nicht verstehen konnte.
    Anna stöhnte. Sie begriff nicht genau, was sie da sah. Aber sie begriff, dass es Schwierigkeiten geben würde. Die Wut loderte auf wie eine Flamme. Wut auf ihn und auf sich selbst. Sie hätte ihn anrufen müssen. Sie kannte ihn doch. Verdammter Idiot, verfluchter, verdammter Idiot!
    »Beruhige dich!« Margot hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg und wedelte mit der Hand durch die Luft, als könne sie die Schallwellen so vertreiben. »Till, bleib ruhig. Wie hieß die Dame? Nein, das sagt mir jetzt nichts. Aber ich werde
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