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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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sogar eine Debatte auszulösen, an der sich möglichst viele Akteure möglichst konfrontativ beteiligen. Mediale Macht beschleunigt Kommunikation und erzeugt somit konkrete Macht. Die Artikulationsfunktion rückt damit in den Hintergrund.

    Dritte Aufgabe der Medien ist die Kritik- und Kontrollfunktion - gemeint ist ernsthafte und fachlich versierte Auseinandersetzung mit komplexen Gesetzesvorhaben. Das ist schon deswegen kaum zu leisten, weil monströse Regelwerke, etwa eine Novelle im Gesundheitswesen, umfassend unverständlich angelegt sind und in letzter Sekunde auch noch mit Dutzenden von Sonderregelungen versehen werden. Kaum eine Redaktion leistet sich überhaupt noch Experten. Es regiert der Generalist, der aus jedem kleinen Normverstoß mit routinierter Empörung einen Skandal, die ultimative Krise, Sensationen und Katastrophen erdichten kann. Nichts ist langweiliger als ein halbwegs geordneter Gesetzesfluss, der übrigens in 90 Prozent der Fälle funktioniert - auch deswegen, weil mediale Kritik und Kontrolle meist dem Mainstream folgt.
     
    Ob und wie diese drei demokratischen Funktionen erfüllt werden, hängt entscheidend vom Standpunkt des Betrachters ab. Journalisten würden ihre Aufgabe als vierte Gewalt als gut erledigt ansehen, zumindest in der Summe aller Medien betrachtet. Journalisten fühlen sich als Kontrolleure der Macht, so lernen es die Jungen von den Alten.
    Politiker dagegen würden heftig dementieren, dass die Medien ihren Pflichten fürs Gemeinwohl gerecht werden. Da ist was dran: In vertraulicher Runde gibt nahezu jeder Journalist zu, nicht etwa die hehren Anforderungskataloge der theoretischen Demokratie abzuarbeiten, wie sie in berufsständischen Geboten oder in Rundfunkstaatsverträgen formuliert sind. Vielmehr lautet das Alltagsraster: Wo gibt es gute Bilder? Wie lässt sich eine Story erzählen, die den seit jeher erfolgversprechenden Mustern von Gut/ Böse, Oben/Unten, Arm/Reich folgt? Wo lauert Streitpotenzial, das womöglich über die nächsten Tage eskaliert
und von anderen Medien aufgegriffen wird? Wo lässt sich eine Lappalie zu einem Skandal aufblasen? Was macht dem Chef Freude? Was hilft Auflage und Quote?
    Nach diesen Kriterien funktionierte Journalismus schon immer, die ersten vier bundesrepublikanischen Jahrzehnte sogar ziemlich berechenbar. Doch seit dem Umzug von Bonn nach Berlin im Jahre 1999 hat sich das Verhältnis zwischen Politik und professionellen Öffentlichkeitsherstellern dramatisch verändert.
    Das kleine Bonn war übersichtlich; es galten Regeln, an die sich alle zu halten hatten, die mitspielen wollten. Politiker lieferten Informationen, Journalisten bezahlten mit anständigen Beiträgen. Was vertraulich war, blieb es oft. Die meisten Bonn-Korrespondenten waren Fachleute, vor allem aber Fans. Bei aller Konkurrenz unter den Medien gab es einen gemeinsamen, durchaus elitären Comment, das Soziotop Bonn gegen die Welt da draußen zu schützen. Einträchtig saßen alle in einem Boot.
    In Berlin war plötzlich alles anders, exemplarisch abzulesen am Kursverfall des Medienkanzlers. Gerhard Schröders Umgang mit Journalisten galt als modern, als kumpelig und professionell, so wie es Bill Clinton und Tony Blair vorgemacht hatten. Journalisten und Regierungschef mochten sich, jedenfalls bis zur Wahl. Schröder war immer für einen Spruch zu haben, für ein nettes Bild, für ein aufmunterndes Schulterklopfen.
    Kaum im Kanzleramt, wandelte sich das Verhältnis grundlegend. Der journalistische Jagdinstinkt machte auch vor Medienkanzlern nicht halt. Brioni wurde zur Staatsaffäre, der Ton insgesamt schroffer. Schröder zog sich zurück, und bereute, etwa der Hälfte aller deutschen Reporter das »Du« angeboten zu haben. Nähe wandelte sich zur Distanzlosigkeit. Viel Respekt war verlorengegangen, »Feuer
frei« lautete die Devise für alle. Hinzu kam: Die Konkurrenz in Berlin war größer, die Bonner Verschwiegenheitsregeln unbekannt, zudem verschärfte das Internet den Wettbewerb immens.
     
    Was Schröder erlebte, haben seither viele Volksvertreter durchgemacht. Lungerte in Bonn das vertraute Dutzend der Verdächtigen vor den Sitzungssälen, lauert heute eine halbe »Krawallerie«. Zwei Dutzend Kamera-Teams sind keine Seltenheit. Doch mehr als ein knalliges Zitat will kaum einer haben. Themen, die nicht in einer halben Minute zu erklären, besser noch zu skandalisieren sind, verschwinden von der medialen Agenda.
    Die Vervielfachung der Medienkanäle, begleitet von
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