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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt
Autoren: Kristina Dunker
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gedacht.«
    Er lacht. Ich mag es, wenn er lacht.
    »Das denken alle. Ich kann aber auch ganz leicht sein.« Er schiebt sich wieder auf die Bank, steht sogar ganz auf und steigt mit den Füßen auf die Sitzfläche.
    »Ich kann Dinge fliegen und schweben lassen, wenn ich will. Modellflugzeuge, Winddrachen, Gedanken. Und Segelboote. Das ist das allerschönste Gefühl, das ich kenne: übers Wasser gleiten, den Wind spüren, das Salz schmecken, spüren, wie alles von einem abfällt, wie man ganz leicht wird, den Alltag hinter sich lässt und nur noch durch das weite Blau auf den Horizont zugleitet. Das ist so wahnsinnig. Kannst du das verstehen?«
    Sebastian breitet die Arme aus, steht so einen Moment.
    »Kann ich«, behaupte ich und denke an die Rasierklinge in meinem Portemonnaie. »Bin schon mal Karussell gefahren«, sage ich dann, stecke mir eine Zigarette an und grinse.
    Sebastian grinst zurück. »Sorry, wenn ich dich vollsülze.«
    »Das tust du nicht.«
    Er springt von der Bank. »Komm, lassen wir Steinchen hüpfen!«
    Wir schlendern zurück zum Ufer, sammeln Steine auf, lassen sie springen, versuchen uns gegenseitig zu überbieten oder die Steine in der Luft zusammentreffen zu lassen.
    Anschließend haben wir Durst. Sebastian schlägt vor, zur Party zurückzugehen, aber irgendwie trauen wir uns nicht und entscheiden uns, stattdessen zur Autobahn zu laufen und an der Tankstelle einzukaufen. Wir gehen den Weg unterhalb der Böschung entlang. Autos und Laster donnern wenige Meter von uns entfernt vorbei.
    »Willst du mal ins Radio?« Sebastian deutet auf die Autobahn.
    Ich erschrecke. Natürlich meint er das nicht ernst. Es soll ein Witz sein.
    »Ha, ha«, sage ich ironisch.
    »Schlechter Scherz, ich weiß.«
    »Allerdings.«
    »Hey, was bist du denn so empfindlich?«
    »Ich bin nicht empfindlich.« Mein Rachen fühlt sich von den Peperoni immer noch taub an, und meine aufgeschnittenen Arme habe ich so fest an meine Seiten gepresst, dass die bloße Berührung Schmerzen verursacht, dazu kommt die Reibung durch meine rascher werdenden Schritte, doch ich löse die Arme extra nicht, sondern lasse sie am Körper entlangschrappen.
    Mein Herz schlägt heftig dabei. Niemand darf je erfahren, dass ich hin und wieder ein kleines Blutbad auf meiner Haut anrichte. Was ich unter meinen Pulloverärmeln verstecke, kann mich unter Umständen in die Klapsmühle bringen.
    Wir erreichen die Tankstelle. Es herrscht viel Betrieb, der Geruch von Kaffee und Diesel liegt in der Luft, jemand hat Musik aufgedreht, Reisende kaufen Proviant und Getränke und auf den Heckablagen der Autos türmen sich Strohhüte, Sandschaufeln und Schwimmtiere.
    Ohne nachzudenken drehe ich mich zu Sebastian um und sage: »Guck mal, die fahren alle in den Urlaub. Sollen wir auch? Uns an die Ausfahrt stellen und nach Süden trampen?«
    »Du kommst auf Ideen!«
    »Wer redet denn immer vom Segeln?«
    »Ich fahre mit meinem Vater in die Ferien.«
    »Mit den Eltern – das ist doch kein Urlaub!« Ich drehe mich im Kreis. »Wir zwei fahren allein ans Meer, segeln und sammeln Muscheln. Wir brechen da vorn den Wohnwagen auf, den da mit den gelben Gardinen, siehst du? Die Leute sitzen vorn in ihrem Auto und lenken, und wir machen’s uns hinten gemütlich. Was hältst du davon? Ich will auch mal Leichtigkeit pur spüren, ich will auch mal durchs Blau sausen, ich will …«
    »Du bist verrückt!«
    »Na und! Mir geht’s gut, ich hab richtig Fernweh!«
    »Wenn man Fernweh hat, geht’s einem nicht gut.«
    »Schlauberger! Woher willst du denn wissen, wann es mir gut geht?«
    Wir stehen dicht voreinander, so dicht, dass eine spürbare Spannung zwischen unseren Körpern entsteht. Er riecht nach Angst und Erregung, nach Schweiß, Aftershave und Pfefferminz. Das macht mich an. Spontan lege ich meine Hände um seinen Hinterkopf und ziehe ihn zu mir heran. Er erschrickt, will zurückweichen, aber ich lasse ihn nicht. Ich will ihn jetzt küssen! Zum Kuckuck mit seinen Komplexen! Ich presse meine Lippen auf seine, knacke seinen Mund mit meiner Zunge, lockere seine verkrampften Kiefer.
    Zuerst zappelt er wie ein Ertrinkender, dann wirkt er wie erstarrt. Meine Zunge wird zur Zauberin, sie umarmt, sie umgarnt. Und endlich, endlich wird er ruhig und findet sogar den Mut, von sich aus zärtlich zu sein.
    Nachher ist er völlig erschöpft und ringt nach Atem.
    »F… f… fühl mal, ob mein Herz noch schlägt!«, stammelt er.
    Ich lege meine Hand auf sein T-Shirt. »Poch, poch,
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