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Schmerzgrenze

Schmerzgrenze

Titel: Schmerzgrenze
Autoren: Joachim Bauer
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internationalen Bühne zählen Armut und der Kampf um knappe Ressourcen 367 . Mehr als 75 Prozent der aktuellen Kriege werden in der Dritten Welt geführt 368 . Häufig findet sich zwischen den Regionen eines ohnehin sehr armen Landes eine Ungleichverteilung von potenziellen Ressourcen (meistens in Form von zu erschließenden Bodenschätzen). Die Folge sind Bürgerkriege bzw. sogenannte »Neue Kriege« (Kriege, bei denen Warlords, kriminelle Banden oder ausländische Interessenten die Fäden ziehen). Zunehmend werden bei diesen Konflikten auch Kindersoldaten eingesetzt 369 . Kriege sind meistens beides: die Folge einer Armutsmisere und Ursache weiteren, noch größeren Elends 370 .
    Große Bedeutung für die Erzeugung gewaltsamer Konflikte auf der internationalen Bühne haben neben Armut auch Demütigungen. Sie spielten und spielen eine zentrale Rolle für den fundamentalen Konflikt zwischen der islamischen und der westlichen Welt. Ein Beispiel für die Demütigungsproblematik sind Vorgänge, wie sie sich 2003 und 2004 in Abu Ghuraib im Irak ereigneten 371 . Ein besonderer Schauplatz in diesem Zusammenhang ist seit Jahren der Nahe Osten. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass ein in
seiner Existenz von seinen Nachbarn bedrohtes Land das Recht hat, sich zu verteidigen. Fatal ist, wenn dies mit einer nicht abreißenden Serie von unzähligen alltäglichen Demütigungen verbunden ist, die zu einem endlosen Kreislauf des Hasses und der Gewalt beitragen.
    Eine »neolithische Revolution im globalen Maßstab«?
    Bei einem Blick auf die derzeitige, durch absehbar begrenzte Ressourcen und enorme technologische Anstrengungen charakterisierte globale Situation erscheint ein Vergleich mit der neolithischen Revolution alles andere als abwegig. Man könnte metaphorisch davon sprechen, dass wir derzeit eine »neolithische Revolution im globalen Maßstab« erleben. Auch Länder, die sich bis vor Kurzem noch eines relativ beschaulichen Daseins erfreuen konnten, wurden in den letzten Jahren von der Globalisierung erfasst und gerieten ins Getriebe einer Weltwirtschaft, die dabei ist, sich auf der Suche nach Ressourcen und Renditen die letzten noch verbliebenen Biotope zu erschließen.
    Ã„hnlich wie die Menschen vor 10 000 Jahren, erleben wir auch heute einen neuen, massiven Einbruch des ökonomischen Prinzips in alle Lebensbereiche. Wie damals, so bedrohen auch heute Leistungsdruck, soziale Desintegration und Gewalt ein menschenwürdiges Zusammenleben. Wir spüren die gefährlichen Folgen des als »Ökonomismus« 372 bezeichneten Versuchs, die Herrschaft des ökonomischen Prinzips über das »Prinzip Menschlichkeit« zu stellen.
    Interessanterweise erleben wir als Antwort auf das mit Macht und im globalen Maßstab hereinbrechende ökonomische
Prinzip auch heute wieder jenen Reflex, der sich schon im Gefolge der neolithischen Revolution einstellte: das Aufkommen von Moralsystemen. Moralsysteme haben eine Garantiefunktion: Ihre Aufgabe ist die Bewahrung einer Vision eines menschlichen Zusammenlebens unter dem Vorzeichen von Zusammenhalt, sozialer Akzeptanz und Gerechtigkeit. Im Westen, wo man derzeit noch vergleichsweise angenehm leben kann, zeigt sich dieser moralische Reflex – von einer vermehrten spirituellen Suche und einer verstärkten Nachfrage nach vorzugsweise buddhistischen Angeboten einmal abgesehen – noch nicht sehr deutlich. Außerhalb des Westens ist er jedoch nicht zu übersehen. Es ist kein Zufall, dass der Islam überall dort auf dem Globus den stärksten Zuspruch findet, wo sich Menschen in besonderer Weise als ausgegrenzt und gedemütigt erleben.
    Moralsysteme bzw. Religionen werden, gerade angesichts der durch starke ökonomische Zwänge charakterisierten globalen Situation, ihre Bedeutung behalten. Sie bilden aus der Sicht ihrer Anhänger und ihrer Repräsentanten einen Gegenpol zur entfesselten Dynamik des ökonomischen Prinzips. Je stärker dieses sich als eine Art Ersatzreligion aufführt und versucht, den Menschen und dessen Bedürfnisse bedingungslos seinen Ansprüchen unterzuordnen, desto massiver und radikaler wird sich eine Religion dieser Tendenz entgegenstellen. Was wir derzeit vor diesem Hintergrund beobachten, ist ein immer brisanterer Konflikt zwischen einer »ingroup« (Islam) und einer »outgroup« (Westen). Auf beiden Seiten kommt dabei eine
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