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Schmerzgrenze

Schmerzgrenze

Titel: Schmerzgrenze
Autoren: Joachim Bauer
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werden.

    Gewalttätigkeit ist kein Mysterium, vor dem wir andächtig oder fatalistisch verweilen sollten. Aggressives Verhalten folgt immer Regeln. Aggression ist kein spontan auftretendes menschliches Grundbedürfnis, ein »Aggressionstrieb« existiert nicht. Insofern ist der UNESCO-Erklärung von Sevilla 362 (Titel: »Gewalt ist kein Naturgesetz«) aus neurobiologischer Sicht voll zuzustimmen (»Wissenschaftlich nicht haltbar ist die Annahme, Krieg oder anderes gewalttätiges Verhalten sei beim Menschen genetisch vorprogrammiert. … Wissenschaftlich nicht haltbar ist die Annahme, Krieg sei verursacht durch einen ›Trieb‹ oder ›Instinkt‹«).
    Perspektiven des Alltags
    Soziale Ausgrenzungen und Demütigungen ereignen sich in der Familie, in Kindergarten und Schule sowie im beruflichen Alltag. Die Austragung von Konflikten ist in allen drei Lebensbereichen nicht nur unausweichlich, sondern ein absolutes Erfordernis. Nicht erforderlich ist jedoch, dies mit Demütigungen zu verbinden, die ein gefährlicher Auslöser für Gewalt sein können. Wir sollten uns daher eine grundsätzliche Achtsamkeit zu eigen machen und auf entwürdigendes Verhalten verzichten. Dies gilt vor allem dann, wenn wir eine Konfrontation durchzustehen haben.
    Viele Familien sind, ohne sich dessen bewusst zu sein und ohne dies zu wollen, Brutstätten für eine spätere Gewaltbereitschaft der in ihnen lebenden Kinder. Kinder, die keine zuverlässigen Bindungen zu ihren Bezugspersonen haben, um die sich kaum jemand kümmert und für die niemand Zeit hat, leben im Zustand der Ausgrenzung. Eine geradezu erdrückende
wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass vernachlässigte oder von Gewalterfahrung betroffene Kinder in späteren Jahren eine massiv erhöhte Gewaltbereitschaft zeigen und ein massiv erhöhtes Risiko haben, kriminell zu werden. Zur guten Erziehung eines Kindes gehören liebevolle Zuwendung, klare Regeln und das gemeinsame Einüben, dass Bedürfnisbefriedigung aufgeschoben und Frustrationen ertragen werden können 363 .
    Auch Kindergärten und Schulen sind Orte, in denen Spielarten von Ausgrenzungen und Demütigungen stattfinden. Dies betrifft vor allem den Umgang der Kinder untereinander und zeigt sich in einem Spektrum zwischen entwürdigenden Hänseleien bis hin zum Cyber-Mobbing. Auch Kindergärten und Schulen sind Orte, wo Konflikte fair ausgetragen werden müssen. Es ist jedoch eine bisher zu wenig wahrgenommene Aufgabe von Eltern und von Pädagogen, gemeinsam (!) darauf zu dringen, dass dies fair und ohne Ausgrenzungen und Demütigungen passiert. Eine diesbezügliche Achtsamkeit ist die beste Prävention gegen Gewalt (einschließlich Amokläufen).
    Wie in Familie und Ausbildungseinrichtungen, so sollte die soziale Akzeptanz auch am Arbeitsplatz einen hohen Stellenwert haben. Hier sind vor allem Vorgesetzte und Führungskräfte gefordert. Sie sollten darauf verzichten, in den von ihnen geführten Teams Spaltungen zu erzeugen. Insbesondere die Ausgrenzung Einzelner durch Mobbing sollte ge-ächtet sein. Wer innerhalb eines Teams definitiv nicht tragbar ist, sollte ohne Demütigung veranlasst werden, auszuscheiden. Eine wichtige Hilfe für die Herstellung und Bewahrung einer kollegialen Beziehungskultur am Arbeitsplatz sind regelmäßige Supervisionen.

    Zu den wichtigen Funktionen der Aggression gehört die Verteidigung von zwischenmenschlichen Bindungen. Mädchen und Frauen schützen Bindungen vor allem durch Fürsorge und Empathie. Jungen und Männer wollen nach außen beschützen. Dies ist der Grund, warum Jungen sich danach sehnen, ihren Mut und ihre Kräfte zu erproben. Sie wollen lernen, gute Beschützer zu sein. Dabei sollten ihnen vor allem die Väter helfen. Nachdem für Jungen immer weniger Gelegenheiten zur Verfügung stehen, sich z. B. in Sportvereinen, auf dem Fußballplatz oder bei Unternehmungen mit Abenteuercharakter als Beschützer auszuprobieren, spielen die virtuellen Ersatzwelten der Videospiele eine immer größere Rolle.Was die Jungen hier »lernen«, sind allerdings häufig keine Hilfen bei der Reifung zum Mann, sondern Trainingsprogramme für Brutalität und Sadismus.
    Der Verlust von Bindungen (Ablösung aus dem Elternhaus, Trennung von Partnerschaften, Entlassung am Arbeitsplatz) ist ein unvermeidlicher Teil des Lebens, Bindungsverluste
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