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Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road

Titel: Schmerz - Piccirilli, T: Schmerz - The Midnight Road
Autoren: Tom Piccirilli
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mehr als sechs Monaten hier unten.
    Flynn hatte so etwas schon zweimal erlebt. Geistig zurückgebliebene Kinder, in Hinterzimmern weggeschlossen und in Ketten gelegt, aber das war in der Südbronx gewesen. In Gegenden, die aussahen, als wären sie von einer Armee überrollt worden. Wo das Gesetz versiegt und alles aus dem Ruder gelaufen war, und der Aberglaube hemmungslos blühte. Hähne liefen frei durch die Straßen, bis sie Santeria-Ritualen zum Opfer fielen. Vielleicht war auch das hier so etwas wie Santeria. In den Slums wurden täglich neue Religionen aus der Taufe gehoben. Flynn hatte schon viel gesehen, aber mit einem Zurückgebliebenen in einem Käfig im Keller eines Eine-Million-Dollar-Hauses in Long Island hatte er nicht gerechnet. »Kelly, wo ist der Schlüssel?«

    »Meine Mutter hat ihn.«
    »Wir müssen ihn hier rausholen.«
    »Warum?«
    »Weil es falsch ist, Menschen so wegzuschließen.«
    »Na ja, das weiß ich. Meistens ist es böse, normalerweise jedenfalls, aber das hier ist etwas anderes. Ich bringe ihm Kekse … und Karamell-Konfekt … und manchmal Kuchen. Ich habe ihm ein großes Stück von meinem Geburtstagskuchen gebracht, es war sogar eine Rose darauf.«
    »Das ist sehr nett von dir.«
    »Meine Mutter sagt, er darf nicht weg, er würde sich verletzen. Das will ich nicht. Er ist nicht nur mein Onkel, er ist auch mein Freund.«
    Zero ließ den Burger zu Flynns Füßen fallen und schlug mit der Pfote nach seinem Schuh, damit er weiter mit ihm spielte. Flynn wollte zur Treppe gehen, um sich Christina Shepard vorzuknöpfen, aber sie war schon da, saß auf halber Höhe und hielt einen.38er Smith & Wesson auf ihn gerichtet.
    Allmählich hatte er den Verdacht, dass die Regeln, nach denen er seine Arbeit verrichten sollte, ziemlicher Blödsinn waren.
     
    »Das ist mein Bruder«, sagte sie.
    »Meine Güte, Christina.«
    »Ich liebe ihn. Ich liebe ihn zu sehr, um ihn ins Heim gehen zu lassen. Wissen Sie, was sie dort mit ihm machen?«
    »Sie sperren ihn jedenfalls nicht in einen winzigen Käfig.«

    »Mein Vater war in den letzten Jahren krank. Er konnte sich nicht mehr um Nuddin kümmern. Seitdem bin ich für ihn verantwortlich. Ich habe die Bürde auf mich genommen. In unserer Familie nehmen wir diese Dinge ernst. Unser Name ist uns wichtig. Unsere Geschichte.«
    »Sie leben im Mittelalter. Wo ist der Schlüssel, Mrs Shepard?«
    »Wir misshandeln ihn nicht! Er darf manchmal raus. Er kann spielen. Wir lassen ihn spielen. Sie verstehen das nicht. Wir beschützen ihn.«
    »Wovor?«
    »Vor der Welt. Vor der Versuchung.«
    Sie sah nicht aus wie eine religiöse Spinnerin, andererseits, wie sah so jemand aus? Die, die er bisher kennengelernt hatte, waren völlig unterschiedlich gewesen. »Was zum Teufel soll das bedeuten?«
    »Das können Sie nicht verstehen.«
    »Da haben Sie Recht.« Man musste jemanden, der eine Waffe auf einen richtete, am Reden halten, wenn man konnte. »Was ist mit seinen Narben?«
    »Das ist von …« Sie presste die Lippen zusammen und kam eine Stufe weiter runter, den Revolver auf Flynns Bauch gerichtet. »Wir lassen ihn spielen. Meine Tochter bringt ihm Kekse.«
    »Das habe ich ihm schon erzählt«, sagte Kelly. Das Mädchen nahm das alles vollkommen gelassen hin. Dass ihre Mutter eine Waffe auf einen Fremden richtete, schien keine große Sache mehr zu sein, wenn man einen behinderten Onkel hatte, der in einem Käfig im Keller lebte. War das einfach ein weiteres Zeichen ihres kindlichen Pragmatismus?

    »Er hat es gut«, fuhr Christina Shepard fort. »Glauben Sie mir, wenn man bedenkt, was er für eine Wahl hat, kann er sich über nichts beklagen. Er spielt wirklich viel.«
    Das war immer das Schlimmste. Sich ihre Rechtfertigungen und Begründungen anzuhören, die Erklärungen, warum sie diese schrecklichen Dinge taten. Kein Funken Verantwortungsgefühl. Stattdessen nur ein blindes Leugnen.
    Flynn sagte: »Ich will den Schlüssel. Jetzt.«
    »Er ist nicht hier. Ich weiß nicht, wo er ist.«
    »Es gefällt ihm da drinnen«, sagte Kelly. »Er will gar nicht raus.«
    »Sehen Sie!«, sagte Christina. Der Lauf ihres Revolvers schwankte. »Sehen Sie? Es gefällt ihm da drinnen. Wir tun ihm nichts.«
    Flynn hatte den einen oder anderen Verrückten kennengelernt, aber niemand hatte je so viel schlimmes Zeug verbreitet wie diese Frau. Es gab Regeln, und er versuchte, sich daran zu halten, aber wenn es hart auf hart kam, landeten sie in der Tonne. Und das war jetzt der Fall. Er trat vor,
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