Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt
Autoren: Marcus Imbsweiler
Vom Netzwerk:
geht.«
    Nagel wurde bleich.
    »Da fängt es an. Er stellt die Frau zur Rede. Als sie frech
wird, dreht er durch und erwürgt sie. Jetzt ist der Damm gebrochen, er kann
nicht mehr zurück. Musik ist ihm heilig. Wer sie entehrt, hat sein Leben
verwirkt. Als Nächstes ist der pädophile Dirigent dran. Dann der schmierige
Klarinettist. Eine Kette ohne Ende.«
    »Der spinnt doch«, sagte Sorgwitz. Greiner schüttelte
grinsend den Kopf.
    »Sehr amüsant«, brummte Fischer. »Irgendwie heilsam. Ich
fühle mich schon viel besser. Wenn Sie mir jetzt noch verraten, wie dieser
Fanatiker heißt, werde ich dieses Jahr gegen Grippe immun sein.«
    »Gerne. Wir brauchen einen Mann, der Sitte und Anstand auf
unserem Planeten wiederherstellen will. So eine Art moralischer Fundamentalist,
die Splitterbombe des Herrn. Eine Kreuzung aus Serienkiller und Ayatollah.
Gleichzeitig muss er über Informationen verfügen. Woher kennt er das Sexualverhalten
seiner Mitbürger, weiß von pädophilen und anderen Neigungen? Ganz einfach: Er
hat Zugriff auf die Datenbanken der Polizei und war früher selbst bei der
Sitte.«
    »Wie bitte?«, schnaufte Greiner. Sorgwitz bekam Augen wie
Golfbälle.
    »Vielleicht wurde Barth-Hufelang schon mal mit Kinderpornos
erwischt. Vielleicht waren die Nierzwa und Woll aktenkundig. So ein Dossier mit
Sexfreaks ist schnell angelegt, wenn man an der Quelle sitzt.«
    »Jetzt ist er reif für die Klapse«, sagte Greiner und tippte
sich an die Schläfe. Sein Chef schwieg schmunzelnd, dafür liefen die
Golfballaugen des Kampfhundes rot an.
    »Fragt sich, wer hier reif ist, Herr Greiner. Wussten Sie,
dass Ihr Kollege Sorgwitz einer Sekte angehört? Sie nennt sich die Erzbruderschaft
der letzten Tage . Man könnte sie auch als christliche Hisbollah bezeichnen.
Ein Stoßtrupp der Frömmigkeit.«
    Das saß. Die Stille nach meinen Worten war bemerkenswert.
Fast hätte man sie aus dem Zimmer tragen und draußen in Scheiben schneiden
können, diese Stille. Niemand wagte zu atmen. Aber alle Augen richteten sich
auf den Kommissar mit den weißblonden Haaren. Die beiden Golfbälle unterhalb
seiner Stirn drohten zu platzen. Aber sie platzten nicht. Der Mann saß
versteinert da wie das Erzgebirge, nur seine Rechte tastete nach dem Siegelring
an der anderen Hand.
    »Wissen Sie, was ich auf den Tod nicht ausstehen kann?«,
wandte ich mich ihm zu. »Fanatiker. Typen, die aller Welt beweisen wollen, dass
sie und nur sie im Besitz der Wahrheit sind. Wer hat damals bei der Sitte den
Zuhältern Moral gepredigt? Wer versucht schon seit Tagen, den Verdacht auf mich
und Covet zu lenken? Wer hat herausbekommen, dass der Geschäftsführer ein
Verhältnis mit einem Journalisten hat? Und was wollten Sie mit dem Foto von
Bernd Nagel? Bei der dritten Leiche deponieren, um eine falsche Fährte zu
legen?«
    Ich schnappte nach Luft.
Jetzt musste es doch geschehen! Sorgwitz musste endlich auf die Füße springen,
sich auf mich stürzen und mir den Hals zudrücken. »Halts Maul, Schnüffler!« –
das hatten seine Worte zu sein. »Halts Maul oder ich bring dich um. Dich hätte
ich als Ersten abmurksen sollen, dann wäre es jetzt einfacher. Und Heidelberg
bald schlampenfrei.«
    Jawohl, geh mir an die Gurgel, Kampfhund! Dann sehen alle,
wer du in Wirklichkeit bist. Kommissar Fischer wird mir zu Hilfe kommen, sogar
Herr Greiner wird seinem Kollegen in den Arm fallen. Die Erzbruderschaft der
letzten Tage ! Ganz zu schweigen von Sorgwitz’ FDJ-Vergangenheit, von der
Stasi-Mitgliedschaft seines Vaters, von den Misshandlungen im Kindesalter, der
Mangelernährung und der Gehirnwäsche … Was noch? Vielleicht ein psychologisches
Gutachten beim Eintritt in den Polizeidienst, das Sorgwitz radikales
Gedankengut und soziale Inkompetenz bescheinigt? Braucht ihr mehr, um den
Blonden aus dem Verkehr zu ziehen? Verdammt, tut was, der Kerl erwürgt mich. Er
bringt mich um!
    Leider geschah nichts dergleichen.
    Mochte Sorgwitz seine Augen auch beängstigend weit
aufgerissen haben, er blieb neben seinem Chef sitzen und spielte an seinem
Ring. Die anderen starrten abwechselnd ihn und mich an. So ähnlich dürfte es
beim gestrigen Premierenabend der ›Heidelberger Schule‹ gewesen sein.
Spektakuläre Auftritte, sprachlose Zuschauer, sinnentleerte Monologe.
    »Legen Sie ein Geständnis ab, Sorgwitz«, knurrte ich in
bester Philip-Marlowe-Manier. »Und dann Schwamm drüber.«
    »Was soll der Mist?«, fauchte der Blonde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher